Welches Bild haben Sie vor Augen, wenn sie den Begriff „humanitärer Helfer“ hören? Vermutlich ein in Khaki gekleideter Held, der weit entfernt von seiner Heimat arbeitet, richtig? Vielleicht ein Deutscher, Niederländer oder Brite.
Viele humanitäre Helfer arbeiten im Ausland – da draußen gibt es einige Helden – doch die meisten Menschen, die für Organisationen wie CARE arbeiten, sind lokale Mitarbeiter. Zum Welttag der humanitären Hilfe feiern wir deshalb lokale Heldinnen und Helden, die in ihren Gemeinden Leben verändern – Menschen wie Nizhan Ramadhan.


Nizhan arbeitet für CARE im Nordirak, dort ist sie geboren und aufgewachsen. Sie unterstützt Frauen und Mädchen, die vor Gewalt geflohen sind, und setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch – unabhängig von seinem Geschlecht – die gleichen Chancen hat.
Die meisten Menschen, denen Nizhan hilft, sind Eziden – eine ethnische Minderheit, die unter dem Islamischen Staat an brutaler Gewalt litt. Tausende Frauen und Mädchen wurden versklavt und vergewaltigt. Die Geschichte einer 26-jährigen, gleichaltrigen Frau berührt Nizhan besonders: „Sie musste fünf Jahre lang unter dem IS leben, verlor ihren Mann und ihren Sohn, jetzt lebt sie ohne Einkommen mit ihren fünf Kindern in einem Camp. Ihre Augen waren von Tränen erfüllt, als sie mir erzählte wie sie jeglicher Art von Gewalt ausgesetzt war.“


CARE schult lokale Gesundheitshelferinnen im Irak, leistet psychologische Hilfe und unterstützt die reproduktive Gesundheitsversorgung. Nizhan und ihre Kolleginnen unterstützen Vertriebene auch dabei Kleinunternehmen zu gründen und somit eigenes Geld zu erwirtschaften. Die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen ist ein Thema über das Nizhan mit großer Leidenschaft spricht. „Männer haben geregelte Arbeitszeiten aber Frauen nicht. Sie arbeiten rund um die Uhr wie Maschinen. Meistens fehlt ihnen die Kontrolle über ihr Einkommen, denn Männer sind die Entscheider, sie bestimmen, wie das Geld ausgegeben wird.“
Nizhan erzählt, dass viele Frauen im Irak mit weiteren Herausforderungen konfrontiert sind, wie Frühheirat und Zwangsehen sowie einem begrenzten Mitspracherecht bei der Familienplanung: „Anfangs hatten Frauen keine Kontrolle über ihren eigenen Körper. Weder darüber wann und wie viele Kinder sie bekamen noch wen und wann sie heirateten. Die meisten 30-jähirgen Frauen in den Camps waren nicht einmal 18 Jahre alt, als sie heirateten. Mit 13 oder 14 Jahren wurden sie zur Ehe gezwungen. Das ändert sich jetzt Schritt für Schritt.“


Ein Großteil der Veränderung ist dadurch zustande gekommen, dass religiöse Führer und Gemeindevorsteher für ein Umdenken gewonnen werden konnten. Sie haben Macht und Einfluss auf die Einstellungen der Menschen und tragen so zu neuen Entwicklungen bei. Eine große Rolle spielen dabei auch lokale humanitäre Helferinnen und Helfer, die von den Menschen in der Gemeinde akzeptiert werden. „Wenn internationale Mitarbeiter über Geschlechtergerechtigkeit oder die Stärkung von Frauen reden, denken religiöse Anführer das seien westliche Ansichten und man wolle ihre Frauen beeinflussen“, so Nizhan. „Wenn jedoch lokale Mitarbeiterinnen darüber reden, ihre Erfahrungen teilen und aussprechen, dass Frauen und Mädchen es besonders schwer haben, dann nehmen die Menschen ihre Botschaften leichter an.“


Auch Nizhan hat schon geschlechtsspezifische Diskriminierung erfahren. Als sie anfing zu arbeiten, wurde sie von vielen Menschen verurteilt, weil sie ohne männliche Begleitung auf Reisen ging. „Für viele Menschen ist es ungewohnt, eine alleinstehende Frau ohne familiäre Begleitung mit Männern sprechen zu sehen, geschweige denn zu hören, dass sie sich für Frauenrechte einsetzt“, erklärt sie. „Viele Frauen haben nicht den Mut öffentlich zu hinterfragen. Sie sind gebildet, haben Fähigkeiten und Kenntnisse, können aber nicht arbeiten. Und genau hier müssen wir weitermachen, wir müssen für uns kämpfen.“
Mit ihren 26 Jahren hat Nizhan noch viele Jahre humanitärer Arbeit vor sich. Sie träumt von einer Welt, in der jeder in Würde und Sicherheit leben kann. „Um ehrlich zu sein, gibt es manchmal Momente, in denen mein Körper eine Pause will, aber mein Herz und mein Kopf denken andauernd darüber nach, wie man Armut, Geschlechterdiskriminierung und soziale Ungerechtigkeit bekämpfen kann.“