Bonn, 18. Juli 2017. Die Versorgung asylsuchender Menschen auf den griechischen Inseln und von unbegleiteten Kindern in ganz Griechenland soll Ende des Monats in die Hände der griechischen Regierung übergehen. Ein Zusammenschluss humanitärer Organisationen begrüßt das, warnt aber, dass die griechische Regierung noch immer keinen Fahrplan für die Übergangsphase vorgelegt hat. Unter den Organisationen, die bisher wesentlich die Geflüchteten-Versorgung übernommen haben, wachsen deshalb die Bedenken, dass sich die Lebensbedingungen und der Zugang zu Grundleistungen für die Menschen verschlimmern könnten.
„Obwohl die Verantwortungsübergabe unmittelbar bevorsteht, gibt es noch immer kaum Angaben darüber, wie sie vonstatten gehen soll“, warnt Meike Riebau, Rechtsreferentin von Save the Children Deutschland. „Gleichzeitig reduziert die Europäische Kommission bereits ihre Unterstützung für humanitäre Hilfe von Nicht-Regierungsorganisationen. Dadurch kann es zu erheblichen Versorgungsschwierigkeiten der Geflüchteten kommen. Es ist aber europarechtlich vorgegeben, dass Personen im Asylverfahren Zugang zu medizinischer Notfallversorgung haben müssen und Unterkünfte bereitgestellt werden müssen.“
„Das Wohl der Geflohenen muss an oberster Stelle stehen“, so Karl-Otto Zentel, CARE-Generalsekretär von CARE Deutschland-Luxemburg. „Wir brauchen eine verantwortungsbewusste Übergabe der Versorgung asylsuchender Menschen. Die Einhaltung des abgestimmten Zeitplans darf nicht dazu führen, dass überlebenswichtige Hilfe wie etwa medizinische Versorgung oder die Verteilung von Lebensmittelgutscheinen schlechter wird oder gar ausfällt.“
Ralph Achenbach, Geschäftsführer und Landesdirektor von IRC (International Rescue Committee) Deutschland ergänzt: „Diese Übergabe kann ein positiver Schritt sein, wenn er transparent und in enger Zusammenarbeit mit den Organisationen vollzogen wird, die bisher die entsprechende Arbeit geleistet haben. Doch bis heute ist kein nationaler Implementierungsplan veröffentlicht worden, noch haben die Organisationen Informationen darüber erhalten, was die einzelnen Schritte sein werden. Ohne einen klar definierten Plan werden Männer, Frauen und Kinder großen Risiken ausgesetzt.“
Auf den griechischen Inseln befinden sich seit der EU-Türkei-Erklärung im März 2016 über 14.000 Menschen. Die NRO haben dort fast den größten Teil dieser Menschen versorgt, gefördert von der Europäischen Kommission. In zwei Wochen, am 31. Juli, läuft diese Finanzierung aus. Auch innerhalb der Kommission findet eine Änderung statt: Bisher war die Abteilung zuständig, die die humanitäre Hilfe koordiniert (DG ECHO), ab jetzt ist die Abteilung für Inneres (DG Home) verantwortlich – auch dieser Wechsel bringt Unklarheiten mit sich.
Die Bedenken der NROs gründen auf Erfahrungen mit bereits stattgefundenen Übergabeprozessen. So endete am 30. Mai 2017 der Vertrag mit der Organisation, die im Ankunfts- und Registrierungszentrum von Moria die medizinische Grundversorgung und die Gefährdungsbeurteilung im Rahmen des Asylprozesses durchführte. Die zehn Ärzte der Organisation, die sich in der Einrichtung um mehr als 2000 Menschen kümmerten und gleichzeitig die griechischen Asylbehörden unterstützten, wurden durch nur drei Ärzte mit denselben Befugnissen ersetzt. Nach unseren Informationen aus erster Hand herrschen seitdem sowohl auf Chios als auch auf Lesbos ein Rückstau bei der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit und besonderen Bedürfnisse und ein fataler Mangel an medizinischer Grundversorgung.
Außerdem gibt es einen fortdauernden Mangel an sicheren Unterkünften und alternativen Versorgungseinrichtungen für unbegleitete Kinder. Für die derzeit 2250 unbegleiteten Kinder, die über ganz Griechenland verteilt dringend ein sicheres Obdach brauchen, gibt es nur 1270 Wohnplätze. Schon jetzt stehen 1000 unbegleitete Minderjährige auf langen Wartelisten für die begehrten Unterkünfte. In der Zwischenzeit leben sie in leer stehenden Häusern, auf der Straße oder werden in „Polizeischutzgewahrsam“ genommen, was einer Inhaftierung gleicht. Die Übergabe der Verantwortlichkeiten an die griechische Regierung wird dazu führen, dass mindestens fünf der jetzt noch bestehenden Unterkünfte schließen werden.
Es besteht die Gefahr, dass eine wachsende Anzahl an Kindern in Haft genommen werden wird, um überhaupt unterzukommen. Alternative angemessene Unterbringungsmöglichkeiten, die kostengünstiger sind und sich am Kindeswohl orientieren, haben bislang wenig koordinierte Unterstützung oder Anerkennung seitens der Regierung erhalten. Zudem ist unklar, ob unter der Leitung der griechischen Regierung bislang bestehende kleine alternative Unterbringungsmöglichkeiten weiterhin gefördert werden.
Die NRO appellieren, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, um eine vorhersehbare humanitäre Notlage zu verhindern.
Wir fordern:
• von der griechischen Regierung, UN-Organisationen, Geber, Nichtregierungsorganisationen und die Zivilgesellschaft anzuhören und die NRO über ihren nationalen Umsetzungsplan für die Übergabe und die Zeit danach zu informieren. Dieser Plan sollte konkrete Schritte für eine enge Zusammenarbeit und eine reibungslose Übergabe von den alten an die neuen Dienstleister beinhalten. Nur so können Unterbrechungen und Verschlechterungen in der Versorgung und den Lebensbedingungen auf den griechischen Inseln und für unbegleitete Kinder in ganz Griechenland gewährleistet werden.
• von der griechischen Regierung, effektivere und tragfähigere alternative Fürsorgemöglichkeiten für unbegleitete Kinder zu entwickeln und in sie zu investieren, vor allem was halb-private Lebens- und Pflegeeinrichtungen angeht.
• von der Europäischen Kommission, die notwendige technische und organisatorische Unterstützung zur Verfügung zu stellen, um zu gewährleisten, dass die Mittel abrufbar und zugänglich sind und effizient genug eingesetzt werden, um Versorgungslücken zu verhindern. Dazu sollte auch gehören, dass sich relevante Organisationen mit den zuständigen Fachbehörden je nach Notwendigkeit zusammensetzen, um eine möglichst reibungslose Übergabe von einem Dienstleister zum anderen zu gewährleisten.
• von der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland, die griechische Regierung anzuhalten, auf den griechischen Inseln die Fortdauer von Gesundheits-, psychologisch-sozialer und psychischer Hilfe, Bildung, legalen Beratungsmöglichkeiten und Fürsorge-Einrichtungen und Schutz von unbegleiteten Kindern in ganz Griechenland zu gewährleisten.
Für Rückfragen steht Ihnen die CARE-Pressestelle gerne zur Verfügung:
Sabine Wilke
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