Hüsameddin steht vor seiner Notunterkunft und blickt in die Kamera.

Wenn man den kühlen Schatten des einzigen Steingebäudes in einem großen Zeltcamp in der südtürkischen Provinz Hatay betritt, kommt einem ein köstlicher Geruch entgegen. Hüsameddin, 38, steht neben einer riesigen Schüssel mit kochendem Gemüse und sieht seiner Frau Selen, 32, dabei zu, wie sie den Topf mit einem Löffel umrührt, der größer ist als sie selbst. Er gibt ein paar Gewürze hinzu und hält den Deckel für sie fest, während sie mit ihrem ganzen Körper rührt. Er trägt eine weiße Kochjacke. Auf seinem Ärmel prangt das Logo seines Baklava-Geschäfts.
 
„Vor dem Erdbeben hatten wir fünf Läden und viele Angestellte. Schon mein Großvater und mein Vater haben ihr Leben mit Baklava aufgebaut. Das ist Tradition. Jetzt ist alles verloren“, sagt Hüsameddin, während er auf seinem Handy stolz seine Produkte zeigt und beschreibt, wie er sie herstellt. Baklava ist ein süßes Gebäck, das durch den Sirup im Inneren an den Fingern kleben bleibt.

Hüsameddins Gesicht verändert sich, wenn er über Baklava spricht. Seine Augen beginnen zu leuchten und er verwandelt sich in sein professionelles Ich. „Finanziell ging es uns gut. Es war perfekt. Wir waren eine sehr glückliche Familie. Jetzt haben wir nichts und müssen bei Null anfangen“, fährt Hüsameddin fort.

Das Erdbeben hat alles für ihn und seine Familie verändert. Hüsameddin ist voller Leben und lacht mit dem ganzen Körper, wenn er davon erzählt, wie er seine Frau Selen kennengelernt hat. „Ich habe sie zum ersten Mal auf einem Basar gesehen und versucht, sie anzusprechen, aber sie hat mich zuerst abgewiesen“, sagt er, während Selen mit den Augen rollt. „Sie kann so gut kochen und wir sind jetzt seit 15 Jahren glücklich zusammen.“ Als er von dem Erdbeben vor sechs Monaten erzählt, nimmt er sich ein Taschentuch und hält es fest. Er weiß, dass er seine Emotionen nicht zurückhalten kann.

Melek präsentiert ihr selbst gemaltes Bild.
Die fünfköpfige Familie Baklava steht vor ihrem neuen Imbiss.

Auf der Suche nach Yusuf

Am 5. Februar, dem Tag vor dem Erdbeben, ist es kalt und verschneit. Hüsameddins vier Kinder haben eine Schneeballschlacht gemacht. Die Heizung im großen Schlafzimmer ist kaputt, also schlafen Hüsameddin und Selen in dieser Nacht im Wohnzimmer. „Wir hatten Glück. Als das Erdbeben kam, ist das Schlafzimmer als erstes eingestürzt. Es hätte uns umgebracht“, sagt Hüsameddin. Als das Beben beginnt, schreit er die Namen seiner Kinder. „Ich habe sie immer wieder gerufen: Yusuf, Melek, Cemre, Mehmet. Aber wir konnten unseren jüngsten Sohn Yusuf nicht finden und suchten überall nach ihm.“ Sie finden den Siebenjährigen zusammengerollt im Bett seiner Schwester, so wie er es als Baby immer getan hat.

Als Hüsameddin über das Erdbeben spricht, schickt er seine Kinder aus dem Zimmer, weil er ihnen die psychische Belastung nicht noch einmal zumuten will. Yusufs Schwestern Melek und Cemre holen einen Fußball und versuchen, ihren jüngeren Bruder zum Spielen zu überreden, aber Yusuf weigert sich, in seinen Flipflops zu spielen. Nach ein paar Sekunden kommt er stolz mit seinen Fußballschuhen aus dem Zelt der Familie und beginnt zu spielen. Mit dabei ist der schwarze Welpe Kumur, den sie im Zeltcamp gefunden haben.

 

Yusuf spielt vor dem Zelt der Familie Fußball.
Melek haelt ihren Welpen Kumur auf dem Arm.

 

„Als wir Yusuf gefunden hatten, versuchten wir zu fliehen, aber die Eingangstür klemmte. Ich musste viel Kraft aufwenden, um hinauszukommen“, sagt Hüsameddin. Dann kommt das Nachbeben und sie können sich nicht mehr bewegen. Sie warten auf der Treppe. „Es hat so stark gewackelt. Ich hielt meine Familie fest und schützte sie mit meinem Körper.“ Er zeigt dies, indem er sich über Selen beugt, die neben ihm sitzt.

Selen kocht in einem großen Topf Gemüse für die Gemeinschaft.

Kein Essen und kein Schlaf

Als es der Familie schließlich gelingt, aus dem Gebäude zu entkommen, werden sie mit einem Alptraum konfrontiert. „Überall fielen Steine herunter. Die Autos bewegten sich einfach von selbst. Ein Solarpanel fiel auf unseren Nachbarn und tötete ihn. Alles fiel auf die Menschen. Wir sahen eine Frau unter einem eingestürzten Gebäude, die um Hilfe schrie, aber wir konnten ihr nicht helfen“, erinnert sich Selen und hält die Hand ihres Mannes ganz fest. Sobald sie in Sicherheit sind, fahren sie zu ihrem Hof, der einige Kilometer entfernt liegt. Die Familie bleibt mindestens einen Monat lang in einem Container ohne Licht, Essen oder Möbel. „Wir konnten nicht schlafen, weil wir solche Angst vor den Nachbeben hatten, die uns immer wieder trafen. Unsere Kinder waren so hungrig, und es war sehr kalt und verschneit“, sagt Hüsameddin. Freiwillige Helfer kommen und verteilen Kekse an die Kinder. Vor dem Erdbeben sind es Hüsameddin und seine Familie, die Lebensmittel für Bedürftige zubereiten. „Wir haben uns freiwillig gemeldet, um anderen zu helfen, jetzt sind wir diejenigen, die Hilfe brauchen.“

Seit einiger Zeit nun lebt die Familie in einem Zeltcamp. Käfer und Insekten krabbeln jede Nacht in ihr Bett. Tagsüber ist es so heiß, dass man kaum atmen kann. „Das Leben ist so schwierig geworden. Besonders für die Kinder. Es gibt keine Schulen. Yusuf sollte inzwischen lesen können, aber er kann es immer noch nicht. Melek liebt es zu zeichnen, und ich möchte sie dabei unterstützen, aber ich weiß nicht, wie“, sagt Hüsameddin und zeigt ein Bild, das sie zum Muttertag gemalt hat. „Wir wollen nicht mehr in Zelten leben, aber die Gebäude stürzen immer noch ein und sind instabil. Es ist nichts mehr da. CARE hat uns mit Küchengeräten, Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Wasserflaschen unterstützt und dafür sind wir sehr dankbar, sonst hätten wir nichts.“ Hüsameddin und seine Familie helfen auch bei der Verteilung dieser Güter an ihre neuen Nachbarn und kochen täglich für sie. Oft steht er auf, um einen Blick auf das Gemüse zu werfen, das im Hintergrund kocht, und rührt es mit dem großen Löffel um. Er hilft immer noch anderen, die in Not sind, während er selbst betroffen ist und ein Trauma erlebt hat. Inzwischen hat Hüsameddin einen weiteren kleinen Baklava-Stand in einem Anhänger eröffnet. Er fängt ganz von vorne an und setzt die Teile seines Lebens wieder zusammen.

Hüsameddin hält lächelnd seine selbstgemachte Nachspeise in die Kamera.

Über CARE

Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union leistet CARE den vom Erdbeben betroffenen Menschen dringend benötigte Hilfe. Durch die Verteilung von Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Hygienesets, Küchenutensilien und Latrinen sowie durch die Bereitstellung von Schutzdiensten, Unterkünften und sicherem Zugang zu sanitären Einrichtungen konnten Tausende von Menschen in mehreren vom Erdbeben betroffenen Provinzen der Türkei unterstützt werden.

Bitte unterstützen Sie die Hilfe von CARE in den Erdbebengebieten mit Ihrer Spende!

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