In CARE-Projekten in der Türkei werden „Community Activators“ ausgebildet, die das Bewusstsein einer Gemeinde für Themen wie Frühehen, Gewalt gegen Frauen und Kinderschutz schärfen. Eine von ihnen ist Souad Aboud, 20. Sie ist blind und eine syrische Geflüchtete. „Als Mensch mit Behinderung müssen wir vertreten sein. Deshalb möchte ich meine Geschichte erzählen“, sagt Souad.

Souad lacht in die Kamera.

Ich wurde blind, als ich elf Jahre alt war und der Krieg in Syrien begann. Meine ganze Welt zerbrach in kleine Stücke. Es begann mit sechs Jahren, da verlor ich mein linkes Augenlicht. Die einzige Behandlung bestand darin, mich von den Straßen, der Sonne und dem Staub fernzuhalten. Ich war zu jung, um eine Operation zu überleben. Also wartete ich ab.

Vor dem Krieg hatten wir ein normales Leben. Meine Eltern hatten ein gutes Einkommen. Diese Zeit in Syrien wird immer in meinem Herzen bleiben. Es gibt keinen schöneren Ort für mich als Aleppo. Jetzt ist alles weg. Als der Krieg begann, hat sich meine Sehkraft durch den Stress verschlechtert. Jeden Tag konnte ich weniger sehen. Irgendwann herrschte nur noch Dunkelheit.

Ich konnte die Bomben hören, wusste aber nicht, was geschah. Ich hatte Angst, dass sie uns treffen, ich jemanden aus meiner Familie verlieren oder von ihnen getrennt werden würde. In vielen Nächten konnte ich nicht schlafen, weil ich an verschiedene Schreckensszenarien dachte. Jeder Tag in diesem Krieg fühlte sich wie ein ganzes Jahr an. Als sich die Sicherheitslage verschlechterte, flohen wir aus Aleppo auf das Land. Wir wohnten in einer sehr überfüllten Schule. Es gab Gemeinschaftstoiletten und keine Privatsphäre. Der Lärm der Fremden um mich herum hat mir Angst gemacht. Als wir es nicht mehr aushielten, flohen wir erneut.

Souad formt mit ihren Händen ein Herz.

Der Hunger tötete uns fast

Ich musste zum ersten Mal in meinem Leben hungern. Es gab nichts zu essen und wir hatten kein Geld, um etwas zu kaufen. Wir hatten alles verloren, als wir flohen. In Sicherheit zu leben, bedeutete, hungrig zu bleiben. Mein älterer Bruder fand einen Job als LKW-Fahrer. Wir waren auf sein geringes Einkommen angewiesen. Dann kam mein Bruder eines Tages nicht von der Arbeit zurück. Ein Freund erzählte uns, dass er erschossen wurde, als er unbeteiligt in einen Streit geriet. Wir haben seine Leiche nie gefunden. Damals brachte uns der Hunger fast um. Einmal lebten wir vier Tage lang nur von Wasser. Deswegen beschlossen wir, in die Türkei zu fliehen.

Ich war aufgeregt. Ich stellte mir vor, dass es uns besser gehen und wir all die berühmten türkischen Fernsehstars sehen würden. Ich dachte auch, dass ich wieder zur Schule gehen könnte. Die Realität sah anders aus. Wir versuchten viermal, die Grenze zu überqueren. Beim zweiten Mal nahm uns jemand in einem Auto mit. Ich dachte, er würde uns in die Türkei fahren, aber er setzte uns in Syrien auf einer Straße ab. Er sagte uns, dass es links und rechts Minen gäbe und wir aufpassen müssten, wo wir hintraten. Ich konnte vor Angst nicht atmen. Meine Familie musste mich zwingen, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Ich dachte, ich würde an diesem Tag sterben.

Souad steht vor einem CARE Logo und lacht in die Kamera.

Beim vierten Versuch liefen wir drei Stunden im kalten Regen und mussten auf dem Boden eines Spielplatzes schlafen. Es war so kalt, dass ich nicht aufhören konnte zu zittern. In dieser Nacht starb eine Frau auf diesem Spielplatz. Danach hätten wir fast aufgegeben. Meine Mutter weinte so sehr, dass wir es noch einmal versuchen wollten. Als wir endlich in der Türkei ankamen, waren wir so erschöpft. Am Anfang lebten wir mit sechzehn anderen Menschen zusammen. Es gab keine Privatsphäre. Wir hatten Essen, aber es war nicht das komfortable Leben, das ich mir vorgestellt hatte.

Eine Wohltätigkeitsorganisation gab uns Hoffnung und bezahlte mir die Augenoperation, auf die ich so lange gewartet hatte. Fünf Monate lang konnte ich wieder sehen, dann war ich wieder blind. Hoffnung ist zehrend, wenn sie einem immer wieder genommen wird. Um wieder sehen zu können, bräuchte ich eine weitere Operation, die rund 7.000 US-Dollar kostet. Das ist zu teuer für uns.

Geht die Welt unter?

Als das erste Erdbeben im Februar 2023 begann, konnte ich nicht schlafen und hörte mir gerade YouTube-Videos an. Dann begann das Gebäude zu wackeln. Ich hörte Schreie, Dinge fielen zu Boden, und die Luft fühlte sich an, als würde sie zusammengedrückt. Ich wusste nicht, was los war. Meine Nachbar:innen riefen meinen Namen und schrien, dass ich raus gehen soll. Es gab keinen Strom und die Telefone funktionierten nicht. Es fühlte sich an, als wären wir von der Welt abgeschnitten. Ging die Welt unter? Ich hatte zu viel Angst, um wieder ins Haus zu gehen, also blieb ich mit meinen Nachbar:innenn draußen in einem Stadion. Wir haben drei Tage lang nicht geschlafen und sind nur auf und ab gelaufen, um uns warm zu halten.

Souad steht zwischen einer Frau und einer CARE-Mitarbeiterin.

Den Schmerz kennen

Eine Freundin erzählte mir von CARE, und sie fragten mich, ob ich in der Gemeinde aktiv werden wolle. In einer Frauengruppe lernte ich etwas über Themen wie Frühehen, Mobbing, Kinderschutz und Gewalt gegen Frauen. Das hat mein eigenes Wissen erweitert und mich stärker gemacht. Ich wurde ermutigt, meine eigenen Sitzungen abzuhalten. Zuerst zögerte ich, weil ich nicht wusste, ob ich dazu in der Lage war. Aber jetzt weiß ich, dass ein blindes Mädchen das kann. Ich kann etwas bewirken, und die Menschen kommen zu meinen Sitzungen, weil sie etwas über meine Erfahrungen mit einer Behinderung hören wollen und darüber, wie ich die psychologischen Auswirkungen des Traumas, das ich erlebt habe, überwunden habe. Ich bin ein blindes Mädchen, das einen Krieg, Hunger, Vertreibung, den Verlust meines Zuhauses und meines Bruders sowie ein Erdbeben überlebt hat. In meiner Gemeinde habe ich einen Fall von Frühverheiratung verhindert und einer Familie geholfen, Informationen darüber zu bekommen, wo sie in Mobbingfällen Hilfe bekommen kann. Meine Gemeinde hat Vertrauen in mich. Ich bringe Menschen zusammen und verschaffe ihnen Gehör, das ist ein wunderbares Gefühl. Für meine Zukunft wünsche ich mir, jemand zu sein, der Spuren im Leben anderer Menschen hinterlässt. Ich möchte anderen helfen, ihr schwieriges Leben zu bewältigen, weil ich ihren Schmerz kenne.”

Bitte unterstützen Sie die Hilfe von CARE für Frauen wie Souad mit Ihrer Spende!

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