Der kleine Junge zieht seine Beine hinter sich her, als er näherkommt. Seine Mutter hält ihrem Sohn eine Schale vor den Mund, weil er sie nicht selbst halten kann. Als er das Gleichgewicht auf seinen deformierten Beinen gefunden hat, trinkt er. Dann lächelt er mich an. Statt weißer Zähne sehe ich Schlamm und kleine Steine in seinem Mund. Er trinkt Wasser aus einer der vielen Pfützen rund um sein neues Zuhause in Dadaab, Kenia. Es ist das einzige verfügbare Trinkwasser.

Dadaab ist mit eines der größten Flüchtlingscamps der Welt und 90 km von der somalischen Grenze entfernt. Über 133.000 Neuankömmlinge leben außerhalb des offiziellen Teils des Camps in Hütten, die aus alten Kleidern und Zweigen von Büschen aus der Umgebung gebaut wurden.
 
Eine von ihnen ist Fatuma. Ich sitze auf dem Lehmboden in der Hütte ihrer Familie und schaue nach oben. Ich sehe ein Meer aus bunter Kleidung: ein altes blaues Kleid, einen grünen Schal und ein kariertes Tuch. Sie alle bedecken die Löcher zwischen den Ästen, die die große Decke halten, die das Dach ihrer Hütte ist. Ich frage Fatuma, wo ihre Familie schläft, und sie zeigt auf den Boden. Acht ihrer Familienmitglieder passen hinein. Fünf schlafen draußen unter freiem Himmel. Ich frage sie, was passiert, wenn es regnet. Sie zeigt auf ihren langen roten Garbassar, ein Tuch, das somalische Frauen tragen, um ihren Oberkörper zu bedecken. Unter dem Garbassar versteckt sie ihre drei kleinen Enkelkinder und so warten sie zusammen, bis der Regen aufhört. Dann beten sie, dass ihr Haus nicht über ihren Köpfen zusammenbricht.

Eine ältere Frau und ihr Enkel sitzen in einer behelfsmäßigen Behausung.
Fatuma und ihr Enkel in ihrer behelfsmäßigen Unterkunft. Bei jedem Regen beten sie, dass das Dach nicht über ihnen zusammenbricht.

Als Fatuma mir das erzählt, muss ich an die Nacht zuvor denken. Während Fatuma ihre Enkelkinder unter ihren Kleidern festhält und die Dächer über den Köpfen der Kinder zusammenbrechen, schlafe ich in einem Bett in einem Gebäude aus Steinmauern und bin froh, dass es zu regnen beginnt, denn das Geräusch der Regentropfen auf meinem stabilen Dach ist beruhigend. 

Auf dem Weg zu den Flüchtlingssiedlungen fahren wir durch tiefe Wasserflächen. Die starken Regenfälle der letzten Woche haben die Straßen komplett überflutet. Unsere Räder drehen durch und verlieren den Halt auf der Straße, so dass wir einige Sekunden lang zu schwimmen beginnen, bevor das Auto wieder festen Boden findet. Über denselben Weg gelangen humanitäre Hilfslieferungen zu den Menschen in Not. Wir kommen an Lastwagen vorbei, die im tiefen Schlamm unter dem Wasser feststecken. Ich stelle mir die Familien vor, die in ihren Hütten auf die überlebenswichtige Hilfe warten. Wie viele Lebensmitteltransporte haben Verspätung, und wie viele Lastwagen mit sauberem Trinkwasser können nicht anfangen, die leeren Wassertanks zu füllen?

CARE hat am Rande des Lagers Wassertanks aufgestellt, wo die Neuankömmlinge leben und darauf warten, dass sie in den offiziellen Teil des Lagers aufgenommen werden. Während dort jeder zehnte Haushalt Zugang zu einem Wasserhahn hat, gibt es am Rande des Camps keine solche Infrastruktur. Ein 5.000-Liter-Wassertank mit einem Wasserhahn ist für etwa 150 Haushalte, also für rund 1.000 Menschen. Die Wassertanks werden zweimal am Tag mit Trinkwasser aufgefüllt. 

Menschen laufen um eine Schlammfuetze herum
Ein Lastwagen mit Hilfsgütern fährt durch Wasser.

Während ich ein Foto mache, wartet eine lange Schlange von Frauen mit Wasserkanistern in ihren Händen, bis sie an der Reihe sind. Sie warten oft stundenlang, manchmal sogar tagelang, bis das Wasser kommt, erzählen sie mir. Es ist nicht genug für alle da. Während ich mit einer der Frauen spreche, beginnt ein Streit zwischen ihnen. Sie fangen an, sich gegenseitig zu schubsen, um zum Wasserhahn zu gelangen, bevor der Tank wieder leer ist. Sie wissen nicht, wann der nächste Wassertransport sie erreichen kann. Die Frauen, die am Ende der Schlange stehen, gehen mit leeren Händen nach Hause. Es sind die Mütter, die ihren Kindern Schlammwasser aus den Pfützen geben, weil es keine Alternative gibt. Während die Frauen kämpfen und sich gegenseitig drängen, um ihren Zwanzig-Liter-Wasserkanister zu füllen, denke ich an die Dusche, die ich an diesem Morgen nahm. Wenn man fünf Minuten lang duscht, werden 60 Liter sauberes Wasser verbraucht. Drei Frauen hätten ihre Wasserkanister füllen können, um sie als Trinkwasser oder zum Kochen für ihre Kinder zu verwenden.

Frauen warten vor einer Wasserausgabe.
Stunden-, manchmal tagelang warten die Frauen darauf, ihre Wasserkanister füllen zu können. Wann der nächste Trinkwassertransport eintrifft, ist oft ungewiss.

"Wir haben kein Wasser", "Wir haben nichts zu essen", "Unser Haus ist zusammengebrochen" und "Meine Kinder sind schwach und erschöpft" - diese Worte höre ich jedes Mal, wenn ich mit den Familien spreche, die hier leben. Die Überschwemmungen und starken Regenfälle verstärken den Stress, den sie ohnehin schon ertragen müssen. Die Ressourcen sind begrenzt. Die finanzielle Unterstützung nimmt ab, und jeden Tag kommen etwa 300 weitere Menschen an, was die Ressourcen noch mehr strapaziert. Und jedes Mal, wenn es regnet, denke ich an Fatuma mit ihren Enkelkindern unter ihrer Kleidung, an den Jungen, der Schlamm zwischen den Zähnen hat, und daran, wie viele weitere Dächer auf den Köpfen der Kinder zusammengebrochen sind.

Bitte unterstützen sie die geflüchteten Familien in Dadaab mit Ihrer Spende!