Suha hat ihre zwei Söhne im Arm.

Ein Interview mit der Genderexpertin von CARE Jemen:

Das Verhältnis zwischen Fauen und Männern beschäftigt Suha Basharen schon seit 20 Jahren auf professioneller Ebene: Sie ist Expertin für GenderfragenIhre Aufgabe ist es, dass die Gleichstellung von Männern und Frauen in allen Arbeitsbereichen und Projekten von CARE berücksichtigt wird und Frauen, dort wo sie systematisch benachteiligt sind, unterstützt werden. Sie selbst wurde in Aden geboren, lebt mittlerweile in der Hauptstadt Sana'a und ist Mutter von zwei Söhnen. In diesen schwierigen Zeiten teilt sie die Sorgen und Ängste aller jemenitischen Mütter um ihre Kinder.

"Kaum noch Kraft, weiterzumachen"

Können Sie die aktuelle Situation in Sana’a beschreiben?

„Sana’a gilt als relativ ruhige und sichere Gegend, wobei die Betonung natürlich auf „relativ“ liegt. Wenn man durch die Straßen von Sana’a läuft, geht das alltägliche Leben auf den ersten Blick weiter. Geschäfte und Märkte haben geöffnet, Menschen gehen zur Arbeit und die Büros sind voll besetzt. Sieht man aber genau hin, zeigt sich ein ganz anderes Bild."

Wie meinen Sie das? Wie sieht das Leben der Menschen wirklich aus?

Nach drei Jahren Krieg haben die Menschen kaum noch Kraft, weiterzumachen; das Grundgefühl von Schutz und Sicherheit, dass man in Friedenszeiten normalerweise hat, ist komplett verloren gegangen.

Als der Krieg 2015 im Jemen ausbrach, dachten die meisten, vor allem die Luftangriffe würden ihnen gefährlich werden. Schnell wurde aber klar, dass der Krieg sie vor allem auch finanziell trifft und so das alltägliche Leben stark beeinträchtigt. Die meisten Menschen in Sana’a sind vom Staat angestellt und finanziell von diesem Einkommen abhängig. Die aktuelle finanzielle Krise führt jedoch dazu, dass die Gehälter nicht mehr ausgezahlt werden. Das zwingt die Betroffenen, sich nach anderen Einkommensquellen umzusehen: schon jetzt sind rund 80% der Bevölkerung verschuldet.

Normalerweise gehe ich jeden Monat zum selben Markt, um Lebensmittel einzukaufen, und jedes Mal sind jetzt weniger Menschen dort."

Was ist momentan Ihre größte Sorge?

„Meine größte Sorge ist die Zukunft meiner Kinder. Ich selbst habe in diesem Land die beste Bildung genossen. Ich hatte glücklicherweise die Möglichkeit, zu lernen, Erfahrungen zu sammeln und in verschiedensten Bereichen zu arbeiten. Nun frage ich mich, ob meine Söhne Yousef und Elias später die gleichen Möglichkeiten wie ihre Mutter haben werden.
Neben der Angst vor ihrer Zukunft mache ich mir Sorgen um ihre Sicherheit.

Weil immer die Gefahr von Luftangriffen oder Gewaltausbrüchen droht, können sie nicht wie wir früher mit den Nachbarskindern auf der Straße spielen. Vor dem Krieg machten mein Mann und ich mit den Kindern kleinere Ausflüge mit Picknick oder fuhren im Sommer nach Hudaida und Aden, aber jetzt fühle ich mich einfach nicht mehr sicher, wenn wir nicht zu Hause sind. Ich kann momentan nicht garantieren, ob meine Kinder ein gutes Leben haben werden oder nicht."

"Ich stelle die Gleichstellung der Geschlechter in den Fokus."

Können Sie Ihren Arbeitsalltag beschreiben? Was genau ist ihre Aufgabe bei CARE?

„Ich bin Genderexpertin bei CARE Jemen, ich arbeite also nicht mit bestimmten Programmen oder Abteilungen, sondern berate alle Arbeitsbereiche. Dabei achte ich darauf, dass in jedem Projekt von CARE die Gleichstellung von Frauen und Männern berücksichtigt wird.

Im Jemen verfügt CARE neben dem Hauptbüro in Sana’a noch über vier weitere Büros. Mit diesen ist CARE in elf der 21 Gouvernements im Jemen tätig.
Ich führe vor allem Trainings oder Orientierungskurse für alle CARE-Mitarbeiter:innen oder Freiwillige durch, die in den CARE-Programmen tätig sind. Außerdem arbeite ich mit dem Projektentwicklungsteam zusammen und überprüfe, ob hier die Genderdimension ausreichend berücksichtigt wird und einen zentralen Teil in all unseren Anträgen oder Evaluationen darstellt.

Kurz gesagt: ich bin dafür zuständig, dass bei allen CARE-Projekten im Jemen die Gleichstellung der Geschlechter im Fokus steht."

Ein Appell an die Außenwelt

Was würden Sie den Menschen außerhalb des Jemens gerne mitteilen?

„Die Krise im Jemen scheint von der Welt ignoriert zu werden. Die Menschen müssen verstehen, dass hier eine schwere humanitäre Krise herrscht, die die gesamte Bevölkerung betrifft - ganz egal, wer am Boden gegeneinander kämpft. Die Welt sollte sich also auf die dramatischen Auswirkungen des Konflikts für die einfachen Leute konzentrieren, die täglich den Preis für diesen Krieg bezahlen.
Wir sind eingeschlossen in diesem Land. Die jemenitische Bevölkerung hat nicht einmal mehr die Möglichkeit, zu fliehen - dieses Grundrecht wurde ihnen entzogen.

Ich rufe deswegen alle Menschen dazu auf, Druck auf ihre Regierungen auszuüben, um den Frieden im Jemen wiederherzustellen und diesen Wahnsinn zu stoppen. Frieden ist alles, was wir brauchen. Je länger wir damit warten, desto mehr verlieren wir."

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