Von Ram Das, Nothilfekoordinator von CARE International im Jemen

365 Tage. Und wir zählen immer noch. Der Krieg im Jemen hält an. Obwohl die große Mehrheit der Menschen im Jemen keinen Anteil daran hat, müssen sie weiterhin leiden. Doch ihre Hoffnung, dass es morgen besser als gestern sein wird, ist unerschütterlich. Einige dieser tapferen Hoffnungsträger:innen arbeiten für CARE.

Hana ist eine davon; sie assistiert CARE im Jemen als Projektmanagerin. Im dritten Monat des Konflikts, als sich dieser insbesondere in Sanaa zuspitzte, überlegte Hana ernsthaft, das Land zu verlassen. Damit war sie nicht allein. Viele wollten dem Kriegsgeschehen entrinnen. Aber wohin gehen? Die Idee, in einem anderen Land zum Flüchtling zu werden, war nicht besonders verführerisch. “Wir haben gesehen, wie die Syrer leiden. Das könnte auch unser Schicksal sein, wenn wir unser Land verlassen”, sagt sie. Hinzu kommt, dass Hana auf dem vorläufigen Höhepunkt des Krieges eine Familie gründete, sich verlobte und dann heiratete. Das war ihre Art zu sagen “Ich habe mein eigenes Leben und ich lasse nicht zu, dass der Krieg es beherrscht.” Gemeinsam mit Gleichgesinnten in der Hauptstadt tat sie etwas Unerhörtes: Jugendgruppen organisierten eine Radfahrkampagne – für Männer und Frauen zusammen. Damit bezweckten sie zweierlei: etwas der Benzinknappheit entgegensetzen und einen Eindruck von der Unabhängigkeit der Frauen vermitteln.

Schlaflose Nächte: Zwischen Ohnmacht und Zuversicht

Eines Morgens kommt Lina, damals unsere Koordinatorin für die Projektarbeit mit den lokalen Hilfsorganisationen, mit geschwollenen, roten Augen und furchtbaren Kopfschmerzen ins Büro. Wie viele von uns hat auch sie in der Nacht kein Auge zugemacht. Wiederkehrende Luftangriffe und Einschläge in der Nähe machen die Nachtruhe unmöglich. Jede einzelne Explosion ließ das Haus erschüttern, Türen aus den Angeln brechen und Fenster aufspringen, als wollten sie rufen: “Willkommen in einer weiteren dieser grässlichen Nächte in Sanaa!”
Lina durchlebt diesen Krieg als augenscheinlich starke Frau, die vorgibt, sie könnte mit dem ganzen Stress umgehen. Ihrer Mutter geht es schlecht. Das setzt in Lina ungeahnte Kräfte frei. Sie sagt: “Meine Mutter ist es, für die ich stark sein muss.”

Bassma leitet die Personalabteilung. Auch sie spürt die unüberwindliche Dauerbelastung des Krieges. Als ihr Vater schwer erkrankte, waren alle kommerziellen Flüge in und aus dem Jemen eingestellt. Verzweifelt versuchte sie, ihn zur Behandlung außer Landes zu bringen. Ihre größte Angst war sein gesundheitlicher Kollaps. Schreiende Ohnmacht erfasste sie. Doch Bassma sieht es so: “Das Leben geht weiter, Probleme hin oder her. Du passt dich an oder gewöhnst dich daran.” Trotz privater Probleme hielt sie das Team von CARE weiterhin zusammen. Das Wohl der Belegschaft war ihre Priorität. Indem sie den Kollegen half, mit der Situation klarzukommen, setzte sie sich auch mit ihren eigenen Ängsten auseinander. Bassma organisierte psychosoziale Beratungen, die sehr hilfreich waren, die Zuversicht der Mitarbeiter:innen wieder aufzurichten – selbst im andauernden Krieg.

Drei Kinder sitzen vor dem Logo von CARE.

Die Hingabe und der unbändige Mut unseres Nothilfeteams

Jetzt stell Dir einmal vor, Du willst nur mit Deinem Auto zum Tanken fahren, doch kommst dann nicht vor dem nächsten Morgen zurück. Was würde Deine Familie denken? Es ist genau das, was Essam ständig passiert. Er ist Leiter unseres Nothilfeteams bei CARE. Einmal in die Schlange vor der Tankstelle eingereiht, gibt es kein Vor oder Zurück mehr, weil Hunderte Autos dazukommen. Welche Ängste muss seine Familie durchstehen: Essam die ganze Nacht da draußen, Bomben hageln vom Himmel, dazu noch bewaffnete Milizen in der Schlange, die sich gewaltsam vordrängeln wollen. Und in all dem Chaos hatte Essam dann die große Verantwortung, die Nothilfe von CARE zu organisieren.

Auch mein Kollege Iftekar, der die Dependance unseres Länderbüros im Süden leitet, bewies in seiner Entschlossenheit viel Mumm. Die Stadt Aden traf dieser Krieg besonders hart. Tod und Zerstörung so weit das Auge reicht. Das Leben dort ist wegen verschiedener bewaffneter Gruppen, die jeweils die Stadt unter ihre Kontrolle bringen wollen, hochriskant und unberechenbar geworden. Dennoch: Iftekar setzt seine Arbeit unbeirrt fort, trotz aller Schwierigkeiten, Tausende von Familien mit Essensrationen zu versorgen.

Bushra, die wiederum die CARE-Zweigstelle im Norden leitet, verlor zwei Angehörige in den Luftangriffen auf Haradh. Das war die schmerzlichste Erfahrung ihres Lebens. Sie war monatelang von der Rolle; nichts konnte sie aufheitern. Aber Bushra wusste, sie musste weitermachen. Schließlich hing das Schicksal fünfzehn weiterer Familienmitglieder von ihr ab, da sie zeitweise die einzige mit einem Einkommen war. Immer wieder sagte sie sich “Du musst stark sein, jetzt ist die Zeit zu zeigen, was in Dir steckt”. Als starke Frau, die sie ist, leistete Bushra weiterhin großartige, erfolgreiche Arbeit in der Not. Das Leid ihres Volkes zu lindern war eine so große Aufgabe, dass sie darüber ihre persönliche Krise leichter durchstehen konnte.

Viele Kolleg:innen spüren, wie sehr ihre Familien ihnen Kraft geben, den Mut, nicht aufzugeben. Vielfach sind es die Schwächsten und Verwundbarsten aus dem Kreis der Lieben, die in ihnen ungeahnte Kräfte wecken: Bassams Vater, die Mütter von Lina und Essam, Bushras Sohn oder wer auch immer – sie alle geben ihnen Lebensmut und Hoffnung. In jedem Fall ist ihnen eines gemeinsam: Alle im Team von CARE Jemen erbringen während dieses Krieges Höchstleistungen. CARE kann erhobenen Hauptes sagen, eine der tragenden Säulen der internationalen Gemeinschaft zu sein, welche dieser großen Krise des Jemen begegnet. Die Welt weiß leider nur wenig von der Tapferkeit dieser Helfer:innen, auch derer bei CARE, die selbst nach 365 Tagen des Krieges stets ihren Einsatz für die notleidenden Menschen über persönlichen Komfort, ja, auch über die eigene Sicherheit stellen.

Mehr zu unserer Arbeit im Jemen finden Sie hier:

CARE-Hilfe im Jemen

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