Johan Mooij leitet die Hilfsmaßnahmen von CARE im Jemen. (Foto: CARE/Abdulhakim-Al-Ansi)

Von Johan Mooij, Länderdirektor von CARE im Jemen

06:30 Uhr: Mein Wecker klingelt. Jeden Morgen nach dem Aufstehen überprüfe ich als erstes, ob dringende SMS oder E-Mails eingegangen sind. Ein Teil der CARE-Familie zu sein bedeutet, dass man den ganzen Tag (und die ganze Nacht) E-Mails bekommt. Aber heute habe ich Glück:Es wartet nichts Dringendes in meinem Posteingang.

07:00 Uhr: Kaffee. Direkt nachdem ich meine E-Mails überprüft habe, mache ich mir eine Tasse. Leider habe ich noch keine richtige Kaffeemaschine, also muss Instant-Kaffee als Ersatz herhalten. Gleichzeitig höre ich den Stromgenerator anlaufen, was bedeutet, dass ich eine heiße Dusche haben kann! Es gibt hier nur wenig Wasser, aber ich will mich nicht beschweren, denn ich weiß, dass sich der Preis für Wasser mancherorts im Jemen in den letzten Monaten verdoppelt hat. Die meisten Leute in der Hauptstadt Sanaa haben nicht einmal das bisschen Wasser, das mir zur Verfügung steht. Mehrere Kliniken mussten daher bereits schließen.

07:30 Uhr: Ich verbringe ein bisschen Zeit auf meinem Dach, das ich oft als Arbeitsplatz nutze. Die Stadt wacht auf. Es fühlt sich an, als sei Sanaa ein Dorf. Ich höre Vögel singen, spielende Kinder, eine Autohupe und eine Frau, die durch ein Mikrofon spricht. Von oben sieht man auch die vielen Solarpanelen, die die Stadt bedecken und es den Menschen ermöglichen, einen Kühlschrank, Licht und Strom zu benutzen. Sie sind eine wichtige Energiequelle, da man nicht garantieren kann, dass Generatoren, die mit Kraftstoff betrieben werden, zu jeder Zeit funktionsfähig bleiben.  Die Blockade vieler Zufuhrwege in den Jemen hat Kraftstoff knapp werden lassen und die noch übrigen Reserven um 40 bis 60 Prozent im Preis erhöht.

08:00 Uhr: Es ist Zeit für mein erstes Radiointerview heute, gefolgt vom Frühstück mit ein paar Kolleg:innen. Das Frühstück ist in der Regel ein guter Zeitpunkt, um Sicherheitsinformationen mit den anderen auszutauschen. Zwei meiner internationalen Mitarbeiter:innen sind außerhalb des Landes für Meetings und Feiertage. Jede Woche senden wir ein Update über die Anzahl unserer internationalen Mitarbeiter:innen im Jemen an die Vereinten Nationen, damit sie mögliche Evakuierungen planen können. Insgesamt gibt es hier etwa 120 internationale NGO-Mitarbeiter:innen und wir sitzen alle wegen der Blockade und Grenzschließungen fest. Einer von ihnen hat mir erzählt, dass er wahrscheinlich den Geburtstag seines Sohnes verpassen wird.

Das Team von CARE Jemen ist fantastisch

08:30 Uhr: Das Büro ist auf der anderen Straßenseite. Unser Sicherheitspersonal sorgt dafür, dass wir sicher dorthin gelangen. Ich nehme mir Zeit, alle Kolleg:innen im Büro zu begrüßen. Das Team von CARE Jemen ist fantastisch - ich habe selten so engagierte und qualifizierte Mitarbeiter:innen gesehen. Es ist eine Freude, mit ihnen zu arbeiten. Einige sind seit mehr als 10 Jahren bei CARE.
Als ich an meinen Schreibtisch komme, erhalte ich ein kurzes Update über die Sicherheitslage: Noch mehr Luftangriffe! Sie sind zwar schon Teil unseres Alltages, aber dennoch frage ich mich jedes Mal aufs Neue, wie viele Menschen diesmal gestorben sind...

10:00 Uhr: Einer unserer regionalen Leiter:innen ruft mich an. Nachdem wir endlich die Erlaubnis erhalten haben, in einigen Teilen von Hudayda zu arbeiten, im Westen des Jemen, wurde mir mitgeteilt, dass das Gebiet zu einer Militärzone erklärt wurde. Ich habe keine Ahnung, was das genau bedeutet, aber das Ergebnis ist, dass wir dort nicht arbeiten können. Da wir in einem anderen Bereich eine Bedarfsanalyse durchgeführt haben, fragen wir die zuständigen Behörden, ob wir stattdessen dort die Arbeit aufnehmen können. Es sieht gut aus. Dies bedeutet zwar, dass die Menschen in der Militärzone nicht in der Lage sein werden, unsere Hilfe zu erhalten, andere aber schon. Das mag nicht gerecht erscheinen, schlimmer wäre es aber, wenn wir komplett untätig bleiben müssten.

Überall zerstörte Gebäude: Nach der Eskalation des Konflikts im Jahre 2015 benötigen Millionen Menschen im Jemen dringend Nahrung, sauberes Wasser, eine Gesundheitsversorgung und Zugang zu Arbeit.
Kinder warten vor Wasserkanistern. Im Jemen fehlt es rund 20 Millionen Menschen an sauberem Trinkwasser. CARE ist bemüht, eine Wasserversorgung für möglichst viele Menschen herzustellen. (Foto: CARE/Holly Frew)

Mehr Krisen bedeuten mehr Meetings

11:00 Uhr: Mehr Krisen bedeuten mehr Meetings. In diesem geht es jetzt um Nahrungsmittelverteilungen, die wir gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm organisieren. Ich informiere das Sicherheitspersonal, wann ich wo sein will. Sie prüfen, ob die Lage dort sicher ist und organisieren ein Auto sowie einen Fahrer. Sobald ich ins Auto steige, schalte ich meinen Tracker ein, damit unser Operationsraum weiß, wo ich bin. Da ich nicht bei allen Nahrungsmittelverteilungen dabei sein kann, ist ein Kollege bereit, einige von ihnen an meiner Stelle zu besuchen.

12:00 Uhr: Ich erhalte pro Tag etwa 150 E-Mails. Ich bemühe mich, so schnell wie möglich auf die wichtigsten davon zu antworten. Alle zu beantworten, ist unmöglich. Wenn mehrere Kolleg:innen in einer Mail adressiert werden, gehe ich davon aus, dass jemand von den anderen antworten wird. Hoffentlich denken wir nicht alle so!

13:00 Uhr: Als ich auf dem Weg zu einem weiteren Treffen mit Partnern und Spendern bin, höre ich das Geräusch einer kleinen Schusswaffe. Obwohl ich mich im UN-Verbund befinde, fühle ich mich unsicher. Zum Glück sind die Schüsse nicht auf uns gerichtet und ich gehe weiter in den Besprechungsraum. Die Geber interessieren sich dafür, wie die aktuelle Blockade unsere humanitären Hilfsmaßnahmen beeinflusst. Wir erklären, dass wir aufgrund noch ausreichender Bestände im Land wie gewohnt weiterarbeiten. Aber wir machen auch deutlich, dass, wenn der Hafen nicht rechtzeitig öffnet, neue Lieferungen zu spät kommen werden. Internationale Mitarbeiter:innen können nicht ein- und ausreisen. Doch das ist nur ein kleines Problem im Vergleich zu den Schwierigkeiten für die kommerziellen Märkte, die durch die Grenzschließung gestört werden, was die Preise für Nahrungsmittel und andere Vorräte explodieren lässt. Es ist nicht viel Geld im Umlauf, weil die Gehälter der Regierung seit mehr als einem Jahr nicht ausgezahlt wurden. Jemand erzählt mir, dass, wenn eine Hungersnot eintritt, alle Menschen wohl gleichzeitig sterben würden, da die Jemenit:innen traditionell ihre knappen Ressourcen miteinander teilen.

16:00 Uhr: Das heutige Mittagessen: eine Packung Kekse, die ich während der Nachmittagssitzungen mit Kolleg:innen teile. Ich erhalte ein Sicherheitsupdate zu den Drohungen, die einer unserer Mitarbeiter:innen vor einigen Tagen am Telefon erhalten hat. Wir sind uns zwar unsicher, wer dahinter steckt, aber wir wissen, dass die Situation für Mitarbeiter:innen von Hilfsorganisationen im Jemen gefährlich ist.

17:30 Uhr: Interview mit einem niederländischen Radiosender und ABC Australia. Ich mache eigentlich gerne Interviews, doch die Themen sind meist sehr besorgniserregend. Wir sprechen hauptsächlich über die sich verschlechternde Situation im Jemen. Mehr als sieben Millionen Menschen sind auf Nahrungsmittelhilfe von außen angewiesen. Es gibt einen Mangel an Wasser, Gesundheitsversorgung und vielem mehr. Diese Blockade muss aufhören. Wenn die Journalist:innen fragen, was wir tun können, merke ich ihnen an, dass sie erkennen, wie schwierig die Situation ist. Ich sage ihnen, dass wir so lange wie möglich mit den begrenzten Mitteln weitermachen werden, wie es eben nötig ist. Wir geben die Hoffnung nicht auf und fordern die Regierungen dazu auf, mehr politischen Druck auf die Konfliktparteien auszuüben.

Unruhige Abendstunden

20:00 Uhr: Endlich habe ich etwas Zeit zum Essen. Unsere Köchin hat ein schönes Gericht im Kühlschrank hinterlassen. Nach der Hälfte der Mahlzeit mache ich ein weiteres Liveinterview im Radio. Meine Frau meint, ich werde berühmt werden, aber diese Interviews sind ein ernstes Geschäft. Es geht darum, die breite Öffentlichkeit über die schrecklichen Entwicklungen im Jemen zu informieren.

21:00 Uhr: Während ich die Nachrichten schaue, schlafe ich ein. Nach zehn Minuten ruft unser Sicherheitsbeamter an, um zu sagen, dass es an verschiedenen Orten in Hajjah und Sanaa weitere Luftangriffe gegeben hat. Vielleicht auch an anderen Orten, aber das ist noch unklar. Ich beschließe, noch ein bisschen wach zu bleiben, nur um sicherzugehen, dass die Angriffe nicht in unserer Nachbarschaft stattfinden. Wir haben ein Haus mit Keller, den wir benutzen, wenn uns die Bomben zu nahe kommen. Ich prüfe unsere Notvorräte. Mit ihnen können wir etwa 15 Tage überleben. Außerdem merke ich, dass ich mit unserem Sicherheitspersonal noch das Anlegen eines zweiten Ausgangs aus dem Keller besprechen muss.

23:00 Uhr: Zeit, ins Bett zu gehen. Ich hatte einen anstrengenden Tag und bin zufrieden mit all der Arbeit, die geleistet wurde. Ich bin stolz, Teil des Teams von CARE Jemen zu sein. Obwohl Freitag normalerweise ein freier Tag ist, denke ich, dass ich den Tag nutzen werde, um einige E-Mails zu lesen. Ein weiterer Tag im Jemen wird seinen Lauf nehmen. Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.

Ihre Spende kann Leben retten: Bitte unterstützen Sie unsere Arbeit mit einer Spende.

Jetzt spenden     CARE-Hilfe im Jemen