Wir kennen ihre Gesichter nicht: Frauen im Jemen tragen einen Niqab. Der Krieg bringt unendliches Leid, aber auch neue Verantwortung für den weiblichen Teil der Bevölkerung des Jemens. Nun kommt es darauf an, diese Veränderungen zu stärken.
Die enge Passstraße ist umgeben von einer atemberaubenden Gebirgslandschaft. Der Blick über den Straßenrand 2800 Meter über dem Meeresspiegel ist ein Abenteuer. Die Landschaft wirkt gewaltig. Zum zweiten Mal bin ich mit CARE im Jemen, dem ärmsten Land der arabischen Halbinsel. Hier herrscht seit über drei Jahren ein brutaler Konflikt. Über 10.000 Menschen sind ums Leben gekommen, Hunderttausende sind vertrieben und Millionen leiden Hunger.
Meine erste Station ist ein kleines Dorf in der Region Sana’a, im Norden des Landes. In Nawfa leben rund 120 Familien. Die Dorfgemeinde dort hat mit der Unterstützung von CARE ein Wasserkomitee gegründet, welches den Bau eines 70 Kubikmeter großen Wasserspeichers ermöglicht hat. Der Zulauf aus den naheliegenden Quellen reichte bei Weitem nicht aus, um den Bedarf des Dorfs zu decken, erinnert sich Salima. Sie gehört dem Komitee an und erinnert sich an die Tage, an denen sie oft neben den Wasserquellen warten und sogar schlafen musste. So lange dauerte es, die Kanister wieder aufzufüllen. Der Wasserspeicher hat ihren Weg zum Wasserholen von einer Stunde auf 30 Minuten verkürzt.
Neue Rollen, neue Möglichkeiten
Dem Wasserkomitee gehören drei Frauen und vier Männer an. Das ist im Jemen ungewöhnlich. Auf die Frage, ob die Meinung der Frauen von den Männern beachtet wird, bricht Lachen unter den Schleiern hervor. Die Frauen erzählen mir, dass sie es waren, die die Männer umgestimmt haben. Die hätten ursprünglich eine Straße bauen wollen. Den Frauen war die Wasserknappheit wichtiger.
Seit Beginn des Konfliktes hat sich die Lage für Frauen und Mädchen drastisch verändert. Im Jemen gelten konservative Normen; die Gesellschaft ist stark getrennt zwischen Frauen und Männern. Doch durch den Konflikt haben sich Rollenbilder und Verantwortlichkeiten geändert. Viele Frauen sind in kürzester Zeit zum Familienoberhaupt geworden, weil ihre Männer geflohen sind, auf einer der beiden Seiten kämpfen oder nicht mehr leben. Mädchen müssen ihren Müttern im Haushalt helfen, statt zur Schule zu gehen. Doch diese neuen Rollen schaffen auch neue Möglichkeiten.
Salima etwa konnte sich durch CARE zu einer Hygieneberaterin ausbilden lassen und nimmt damit eine wichtige Rolle innerhalb ihrer Dorfgemeinschaft ein. Sie sorgt dafür, dass Durchfallerkrankungen zurückgehen und sich der Gesundheitszustand vor allem von Kindern und ihren Müttern verbessert. Ihre Arbeit hilft dabei, der hohen Müttersterblichkeit entgegen zu wirken. Im Krieg sterben noch mehr Frauen während der Schwangerschaft und Geburt als in friedlichen Zeiten. Es fehlt an Krankenhäusern und medizinischer Versorgung, die Straßen sind gefährlich. CARE verteilt außerdem Lebensmittel an Familien, die von Frauen geführt werden, und unterstützt insbesondere Schwangere und stillende Mütter.
Frauen brauchen (mehr) Mitspracherecht
Um den Konflikt im Jemen zu beenden, rufen wir von CARE auf, eine politische Lösung zu finden, welche die Rolle der Frau in sozialen, wirtschaftlichen und politischen Entscheidungspositionen fördert. Frauen sind zum Rückgrat der Gesellschaft gewachsen. Gleichzeitig sind sie körperlich und psychologisch am meisten von dem Bürgerkrieg betroffen. Frauen müssen das Recht haben, an den Friedenstischen zu sitzen und die Zukunft des Landes mitzuentscheiden.
Oft finden wichtige Sitzungen zum Friedensprozess im Jemen außerhalb des Landes statt. Für Tausende von Frauen, Friedensaktivistinnen und Helferinnen hat das einen hohen logistischen Aufwand zur Folge. Häufig scheitert es an Reise- und Visaregularien sowie an finanziellen Mitteln. Wir rufen die internationale Gemeinschaft dazu auf, das Potential der Frauen im Jemen als Katalysator eines nachhaltigen Friedensprozesses anzuerkennen und entschieden zu fördern. Das ist nicht nur wichtig für das individuelle Schicksal, sondern ein entscheidender Punkt für die Zukunft des Jemens. Denn soll das Land friedlicher, wohlhabender und freier werden, muss es weiblicher werden.
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Lesen Sie, wie CARE sich auf der ganzen Welt für die Rechte von Frauen und Mädchen einsetzt.