Shanti Chirayath aus Bonn ist humanitäre Helferin. Als die Coronakrise weltweit Reiseeinschränkungen forderte, entschied sie sich gegen eine Rückkehr nach Deutschland.
Plötzlich ging alles ganz schnell: Bereits Mitte März, als es hier in Dohuk noch keine Coronainfektionen gab, durften wir die Stadt nicht mehr verlassen. Dohuk liegt ganz im Norden des Irak, der Regierungsbezirk beheimatet rund 1,5 Millionen Menschen. Die Ankündigung kam sehr kurzfristig und führte dazu, dass viele Menschen buchstäblich steckenblieben. Etwa eine Kollegin, die in der Nachbarprovinz für ein Projekt von CARE war. Sie kann bis heute nicht nach Hause zurück.
"Wir sind ein Team und wir stehen zusammen"
Ich bekomme bis heute Updates von der Deutschen Botschaft, wenn es Flugmöglichkeiten nach Deutschland gibt. Doch für mich war gleich von Beginn an klar: Ich möchte das Team hier nicht verlassen. Es hätte sich für mich sehr ungerecht angefühlt, die Zelte abzubrechen. Wir sind ein Team und wir stehen zusammen – die irakischen Kolleg:innen und wir, die internationalen Mitarbeiter:innen. Hier kann ich konkret helfen. Zu Hause in Deutschland, da bin ich sicher, würde ich mich sehr abgekapselt und nutzlos fühlen. Die Flieger nach Deutschland starten also bis auf weiteres ohne mich.
Die Maßnahmen wurden für alle nachvollziehbar erklärt und jeder hielt sich streng daran. Ich fühle mich auch weitestgehend sicher, wenn auch die Zahl der Infizierten vor allem in den Nachbarprovinzen täglich ansteigt. Bereits seit März haben wir eine Maskenpflicht und in Supermärkten muss man Einweghandschuhe benutzen. Aber natürlich kann sich bei weitem nicht jede Familie hier diese Materialien leisten. Früher haben solche Masken 2-3 Dollar gekostet. Heute zahlt man 12-15 Dollar. Wer kann es da Menschen verübeln, wenn sie die Masken mehrfach benutzen oder mit ihren Familien teilen? Langsam erreichen wir hier Temperaturen über 40 Grad und vielen fällt es schwer sich an die Regelungen zu halten.
Große Hoffnung, schneller Fall
Aktuell gibt es 174 bestätigte Fälle einer Erkrankung mit dem Coronavirus hier in Dohuk, davon sind 139 Menschen wieder gesund. Man hat das Gefühl, die große Welle ist an uns vorbeigeschwappt. Aber wird es eine zweite Welle geben? Mitte April, kurz vor Beginn des Fastenmonats Ramadan, gab es eine „Covid Victory Celebration“. Hunderte Menschen feierten auf den Straßen, mit Feuerwerk, Kerzen, Luftballons und den hier typischen, gewöhnungsbedürftigen Gewehrsalven. Die Gefahr ist gebannt, davon sollte die Feier erzählen. Am nächsten Tag wurden neue Ansteckungsfälle gemeldet.
Kurz darauf galten wieder strenge Ausgangssperren. In unserem CARE-Büro durften zu diesem Zeitpunkt nur fünf Personen gleichzeitig anwesend sein. Seit Mitte Mai sind Geschäfte und Restaurants wieder geöffnet und auch wir im CARE-Büro arbeiten wieder in voller Besetzung. Allerdings tragen alle Masken und Handschuhe und wir empfangen noch keinen Besuch. Besonders tragisch: Auch Reisen in andere Provinzen und damit zu unseren Projektstandorten sind noch nicht wieder möglich. Wir haben unsere Kolleg:innen im Feld schon lange nicht mehr gesehen.
CARE hilft trotz Hindernissen
Die Hilfe läuft trotz allen Einschränkungen weiter. In den Camps für geflohene Familien, meist Ezid:innen aus dem Sindschar-Gebirge, liefern wir weiter Wasser- und Gesundheitsdienste und organisieren die Müllentsorgung. Aber wir müssen viele Vorsichtsmaßnahmen treffen. Statt Verteilungen von Hilfsgütern planen wir nun in den kommenden Wochen, die Pakete vor den Türen der Menschen abzustellen und bei der Gelegenheit dann auch über Hygiene aufzuklären.
Früher hat man sich vielleicht in Deutschland darüber gewundert: Warum wissen die Menschen denn nicht, dass man sich die Hände waschen muss? Das ist doch nicht so schwer. Aber nun merkt es jeder und jede weltweit: Man vergisst die lebenswichtige Hygiene im Alltag. Und braucht ständige Erinnerungen. Die gibt CARE hier, eben über persönliche Besuche oder aber auch über SMS und Instagram. Wir versuchen, die Menschen auf allen Kanälen zu erreichen und zu erinnern.
Als nächstes möchten wir Nahrungsmittel verteilen, denn viele Gemeinden, sowohl Geflüchtete als auch die anliegenden Dörfer, haben ihre Lebensgrundlage verloren. Die unzähligen Tagelöhner, die morgens ausströmten, um auf Baustellen, Märkten oder der Straße zu arbeiten, verdienen nun kein Geld mehr. Auch für sie braucht es dringend Programme, die ihnen Geld für einfache Arbeiten versprechen, etwa im Straßenbau oder der Landwirtschaft. Ich hoffe, das können wir bald organisieren.
Einsame Feiern in der Pandemie
Mitte April begann der Fastenmonat Ramadan.
Viele Menschen hier waren in dieser Zeit sehr betrübt. Denn das Schönste an dem Fastenmonat ist Iftar, das allabendliche Fastenbrechen im Kreise von Freunden und Familie. Aber wegen der Pandemie musste jede Familie für sich bleiben. Einige Bäckereien änderten ihre Öffnungszeiten und waren von Mitternacht bis vier Uhr morgens auf, damit Menschen nach Sonnenuntergang dort einkaufen konnten. All diese Einschränkungen waren sehr kräftezehrend für die Menschen.
Wir hoffen immer noch, dass wir bald auch wieder in andere Provinzen reisen dürfen und alle unsere Projekte wieder volle Fahrt aufnehmen können. Und gerade dann möchte ich auch hier sein.
Natürlich ist es schwierig für mich, nicht zu wissen, wann ich meine Familie und Freunde wiedersehe. Ostern war für mich nicht leicht. Denn hier im weitestgehend islamischen Irak wird das christliche Fest natürlich kaum gefeiert, die wenigen Kirchen waren geschlossen. Wir haben dann per Videotelefonie einen kleinen Gottesdienst in der Familie abgehalten. Und einige Tage später zum Geburtstag meiner Mutter gemeinsam Kuchen angeschnitten.
Ende April hatte ich Geburtstag, ich wurde 33.
Eine Woche vorher dachte ich noch, wir könnten in größerer Runde feiern. Nun gab es immerhin ein kleines Abendessen mit meinen Mitbewohner:innen. Ich hatte ein Rezept für Kartoffelsalat im Internet gesucht. Wir stießen mit Granatapfelsaft an und neuerdings gibt es hier auch einen grüngefärbten Bananenshake. Ganz ehrlich: natürlich ist die Situation schwer. Aber es war ein schöner Geburtstagsabend. Am nächsten Tag lief dann die Hilfe weiter und das ist, was für mich zählt.
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