Auch fünf Jahre nach der gewaltsamen Vertreibung aus dem Sindschar leben viele Ezid:innen noch immer in provisorischen Camps im Nordirak. Militärische Angriffe in Ninawa und monatelange Kämpfe in Mosul im Jahr 2016 führten zu schwersten Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur und zwangen zahlreiche Menschen aus der Region zur Flucht. Bis heute sind ungefähr 1,8 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben worden. Obwohl der Wiederaufbau vorangeht, bleiben rund 5,5 Millionen Menschen im Irak ohne Zugang zu medizinischer Grundversorgung.
Dr. Karwan Saifadin leitet seit 2016 die Gesundheitsprojekte bei CARE im Irak. Als Gesundheitsexperte und gelernter Hals-, Nasen-, Ohrenarzt berichtet er über aktuelle Herausforderungen und Schwierigkeiten im Gesundheitssystem des Iraks.
CARE engagiert sich seit 1991 im Irak für diejenigen, die dringend humanitäre Unterstützung benötigen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Frauen und Mädchen, älteren Menschen und Menschen, die verletzt wurden oder mit einer Behinderung leben. Mit welcher Art medizinischer Hilfe unterstützt CARE Betroffene?
CARE baut Gesundheitszentren wieder auf, etwa in den Regierungsbezirken Ninawa und Al-Anbar, in Stadtzentren und in Gegenden, die nur schwer erreichbar sind. CARE arbeitet eng mit lokalen Behörden und Partnerorganisationen zusammen und bietet mit ihnen Aus- und Weiterbildungen für Hebammen, Geburtshelferinnen und andere medizinische Mitarbeiter an. In besonders zerstörten Gebieten bauen wir Kliniken und Infrastruktur wieder auf. Außerdem richten wir Kreissäle ein und statten Labore mit medizinischen Geräten aus und stellen Medikamente zur Verfügung. Diese Leistungen sind besonders wichtig, weil ohne unsere Behandlungen und Medikamente Menschen weiterhin leiden müssten.
Sie sind Arzt - können Sie uns Einblicke in das irakische Gesundheitssystem geben?
Das irakische Gesundheitssystem ist schon alt, es wurde direkt zu Beginn der irakischen Staatsgründung im Jahr 1932 eingerichtet. Wir haben zunächst allgemeine Gesundheitszentren, in die Patienten zur Routinebehandlung kommen. Außerdem haben wir Kliniken für komplizierte Fälle. Normalerweise besuchen Patienten zunächst ein Gesundheitszentrum und werden dann von dort in betreffende Kliniken überwiesen, ähnlich wie im europäischen Krankensystem. Allerdings sind während des Krieges viele Gesundheitszentren zerstört worden, sodass die Patienten direkt in die nahe liegenden Kliniken gehen mussten, was dort die Ärzte und Pfleger zusätzlich unter Druck setzte. Deshalb ist die Unterstützung durch CARE so wichtig. Wir helfen dabei, wieder ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen.
Mit welchen Schwierigkeiten sind Ärzte und humanitäre Helfer im Gesundheitssektor konfrontiert?
Wir brauchen am dringendsten Ärzte und Arzthelfer, die gut ausgebildet sind. Sehr viele Krankenhäuser sind zerstört und können nicht mehr benutzt werden. Die Überweisung schwerer Fälle funktioniert deshalb nur sehr begrenzt. Patienten sterben auf dem Weg zum nächsten Krankenhaus. Soweit ich weiß, gibt es auch nur eine einzige Intensivstation im Nordirak. Sie verfügt über nur wenige Betten und eine sehr schlechte medizinische Versorgung. Wenn Patienten intensivmedizinische Versorgung benötigen, können sie nicht behandelt werden. Unsere größten Probleme sind das Fehlen von entsprechenden Strukturen, der Mangel an Kapazitäten und dass die medizinische Ausrüstung entweder zerstört oder gestohlen wurde.
Können Sie uns von den Entwicklungen des Gesundheitssektors berichten, seitdem die Region von bewaffneten Gruppen befreit wurde?
Es gibt kein gut funktionierendes Krankenhaus im Zentrum oder in der Umgebung Mosuls, was die Menschen vor Ort unter existenziellen Stress setzt. Diejenigen, die es sich leisten können, suchen Privatkliniken auf, um sich dort behandeln zu lassen. Es ist wirklich wichtig, schnell wieder ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen, damit Menschen nicht weiterhin bei einfachen Operationen sterben müssen, obwohl sie normalerweise gerettet werden könnten. Vor einigen Wochen habe ich einen Neurochirurgen getroffen, der einen Patienten mit einer Gehirnverletzung behandeln wollte, aber keine funktionsfähige Computertomographie finden konnte, um die Notoperation durchzuführen. Es ist furchtbar belastend, wenn Sie einem Patienten, der um Hilfe schreit, ,,Nein” sagen müssen, weil ihnen die Hände gebunden sind.
Bis Juni 2019 erreichte CARE mit seiner Hilfe im Nordirak mehr als 340.000 Menschen. Dabei berücksichtigt CARE vor allem die besonderen Bedürfnisse von Frauen und Mädchen. CARE hilft beim Wiederaufbau der öffentlichen Gesundheitszentren, indem Labore neu eingerichtet und Kreissäle neu ausstattet werden. Außerdem versorgt CARE Schwangere und stillende Mütter mit medizinischen Hilfsmitteln und Nahrungsmitteln. CARE bildet darüber hinaus auch medizinisches Personal für die Geburtshilfe, sowie psychosoziale Unterstützung aus.
Bitte unterstützen Sie unsere Hilfe im Irak mit Ihrer Spende!