Von Sarah, 13, aus Afghanistan

„Ich bin eine Hazara. Wir sind eine Minderheit in Afghanistan. Als militante Gruppen unsere Region Bymiyan angriffen, entschieden meine Eltern mit mir und meinen Geschwistern zu fliehen. Wir suchten Schutz im Iran, aber uns wurde bald klar, dass ein sorgenfreies Leben dort auch nicht möglich war. Also suchten wir weiter nach einem sicheren Ort und landeten in Griechenland. Das war vor einem Jahr. Wir hoffen, dass wir eines Tages mit meinem Bruder wiedervereint werden, der bereits seit einigen Jahren in Schweden lebt. Bis dahin werde ich hier zur Schule gehen und verbringe meine Tage in einer Begegnungsstädte in Athen, zusammen mit vielen anderen Flüchtlingsmädchen.“

Sarah* und ihre Schwester nehmen an vielen Aktivitäten und Kursen des Melissa-Zentrums in Athen teil, ein einzigartiger Ort für weibliche Geflüchtete, wo sie sich aufhalten können, während ihre Familien auf die Bewilligung des Asylantrages warten. Sie hoffen, bald mit Sarahs Bruder in Schweden wiedervereint zu werden.

*Name geändert

Eingang zur Orthdoxen Kirche.
Eingang zur Orthdoxen Kirche. Afghanin Sarah: „Ich dachte, ich gehöre dort nicht hin und werde eh nicht hineingelassen.“ (Foto: CARE)

Ich dachte, ich gehöre dort nicht hin

„Die Kirche. Ein Begriff, den ich schon kannte. Seit mehr als einem Jahr lief ich bereits an solch einem Gebäude vorbei, wenn ich durch die Straßen Athens schlenderte. Ich war sehr neugierig, wollte immer hineingehen, aber irgendetwas hielt mich zurück.

Bei langen Spaziergängen durch die Straßen Athens kommt Afghanin Sarah an einer orthodoxen Kirche vorbei.
Bei langen Spaziergängen durch die Straßen Athens kommt Sarah an einer orthodoxen Kirche vorbei (Foto: CARE)

Ich dachte, ich gehöre dort nicht hin und werde eh nicht hineingelassen. Ein paar Tage vor Weihnachten 2016 verkündete unsere Lehrerin in der Schule: ‚Morgen werden wir in die Kirche gehen. Wer von euch möchte mitkommen?‘ Ich schaute mich um. Ich dachte, sie würde mit den anderen Kindern sprechen. Die, die Christ:innen sind. Etwas hielt mich davon ab, die Hand zu heben. Aber meine Lehrerin schien verstanden zu haben, dass ich sehr gerne mitkommen wollte. Sie schaute mich einige Sekunden lang an und sagte dann mit lauter Stimme:

‚Sarah, Möchtest du mitkommen?‘

‚Warum? Darf ich?‘

‚Natürlich darfst du, wenn du möchtest.‘

‚Aber ich gehöre dort doch gar nicht hin.‘

‚Ich verstehe. Aber wenn du möchtest, darfst du gerne mitkommen.‘“

„Aufgeregt meldete ich mich also für meinen ersten Besuch in einer orthodoxen Kirche an. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Am nächsten Morgen aß ich mein Frühstück so schnell ich nur konnte und verließ hastig das Haus, um den Bus zu bekommen. Aber leider war ich schon zu spät und er fuhr mir davon.“

„Ungeduldig wartete ich auf den nächsten, aber als ich an der Schule ankam, waren die anderen Schüler:innen und meine Lehrerin bereits aufgebrochen. Ich ging also wieder nach Hause und dachte: ‚Sarah, wieder einmal hielt dich etwas davon ab, die Kirche zu besuchen.‘“

Ein Mädchen sitzt auf einer Bank und blickt in die Ferne.
„Ich habe erkannt, dass Kirchen und Moscheen viele Gemeinsamkeiten haben. An beiden Orten kannst du zu Gott sprechen. Hier wird er dein Herz erhören und dir Sicherheit und Frieden geben.“ (Foto: CARE)

An beiden Orten wirst du von Gott gehört

„Ein paar Monate später konnte ich an Ostern endlich eine Orthodoxe Kirche besuchen. Als ich hineinging, fielen mir die vielen Kerzen auf. Durch die bunten Fenster reflektierte das Licht in  vielen verschiedenen Farben und doch war es irgendwie dunkel. Mir fiel eine Frau auf. Sie trug einen Schal, der meinem Hijab ähnelte. Am meisten faszinierten mich die zahlreichen Bilder und Gemälde an den Wänden und sogar an der Decke. Ein älterer Herr in langer violetter Kleidung sang. Es klang wie ein Gebet.“

„Als er sich umdrehte, sah ich, dass er etwas in seinen Händen hielt, aus dem weißer Rauch kam. Er schwang damit vor und zurück in unsere Richtung. Ich schaute in sein Gesicht. Er war sehr alt und hatte einen langen Bart. Er sah mir direkt in die Augen und lächelte. Er dachte wahrscheinlich, ich sei sonderbar, so wie auch ich ihn etwas seltsam fand. Ich fühlte mich genauso, wie damals, als meine Eltern mich das erste Mal mit in die Moschee nahmen.“

In einer Orthodoxen Kirche. Ein prunkvoll geschmückter Raum.
Der prunkvoll geschmückte Raum einer orthodoxen Kirche in Athen. (Foto: CARE)

„Ich habe erkannt, dass Kirchen und Moscheen viele Gemeinsamkeiten haben. An beiden Orten kannst du zu Gott sprechen. Hier wird er dein Herz erhören und dir Sicherheit und Frieden geben.“

Grab an einer Orthodoxen Kirche in Athen.
Grab an einer Orthodoxen Kirche in Athen. (Foto: CARE)

Diese Geschichte ist Teil des Fotoprojektes „Mit ihren Augen“, welches von CARE Griechenland in Kooperation mit dem Melissa Center in Athen durchgeführt wurde und den Leser:innen einen Einblick in den Alltag urban lebender geflüchteter Frauen und Mädchen gibt. Die Namen der Projekteilnehmerinnen werden aus Sicherheitsgründen nicht genannt. CARE unterstützt geflüchtete Familien in Griechenland mit Bargeld, Unterkünften und weiteren Hilfsmaßnahmen, finanziert durch die Europäische Kommission.

Lernen Sie die Geschichten weiterer Teilnehmerinnen unserer „Mit ihren Augen“-Serie kennen: Rabia (Teil 1 und Teil 2)Leila, Amene.

Mehr Informationen zum Thema „Flucht“.

Flucht und Migration

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