Das Licht geht plötzlich aus, das Brummen der Nähmaschine verstummt und es ist ganz still in Surya Alis Arbeitsraum. Das traditionelle afghanische Kleid mit den leuchtend bunten Nähten ist noch nicht fertig, sie muss noch ein ganzes Stoffstück hinzufügen. Ihre einzige Möglichkeit ist jetzt, es aufwändig per Hand zu Ende zu nähen. Surya macht sich an die Arbeit.
In der afghanischen Hauptstadt wird der Strom jeden Tag abgestellt. „Man weiß nie, wann er aus geht oder wann er wieder eingeschaltet wird“, sagt Surya Ali, 39, Mutter von acht Kindern. In manchen Gegenden gibt es nur morgens Strom, in anderen nur für ein paar Stunden am Nachmittag. Die Mutter ist Schneiderin und verkauft ihre Kleider auf dem örtlichen Markt oder an Ladenbesitzer:innen. „Ich habe nie eine Ausbildung erhalten, ich habe mir selbst beigebracht, wie man näht. Als ich anfing, gab es einen guten Markt für diese Fähigkeiten, also konnte ich damit meine Familie ernähren“, berichtet Surya Ali.
Weitermachen trotz Hindernissen
Doch die wirtschaftliche Situation verschlechterte sich. „Ich habe alles verloren, weil mein Arbeitsvertrag gekündigt wurde. Aber ich wollte nicht aufgeben: Ich gründete mein eigenes Unternehmen.“ Surya Ali hat sich alle Fähigkeiten selbst erarbeitet und lernte, indem sie andere Unternehmen und wie sie geführt wurden genau beobachtete. „Ich habe zum Beispiel gesehen, dass andere Firmen Logos haben, also habe ich das auf mein eigenes Geschäft übertragen und ein Logo für mich entworfen.“
CARE unterstützt die Gründerin Surya Ali mit zwei Nähmaschinen, die solarbetrieben sind. „Ich brauchte eine Möglichkeit, bei den vielen Stromausfällen zu arbeiten. Dank CARE habe ich sie jetzt“, erklärt Surya. Mit den Maschinen kann sie ihre Produktion steigern. Vorher hat sie nur ein Kleid pro Tag herstellen können, jetzt sind es bis zu vier Stück. „Ich habe jetzt 40 Prozent mehr Einkommen als früher und kann meine Familie ernähren“, sagt Surya Ali. Ihr Mann hat seinen Regierungsjob verloren und ist jetzt im Ruhestand. Entsprechend erwirtschaftet Surya Ali nun eigenständig den Lebensunterhalt für ihre Familie.
Die wirtschaftliche Lage in Afghanistan verschlechtert sich jedoch weiter. „Viele Kund:innen können es sich nicht leisten, Kleider zu kaufen. Früher hatte ich 25 Angestellte, aber vor einem Monat musste ich fast alle entlassen, weil ich mir ihre Gehälter nicht mehr leisten konnte. Jetzt sind wir nur noch zu sechst“, sagt Surya Ali.
Nähkurse statt Schulbank
Zusätzlich zu ihrem Schneidereigeschäft erwirtschaftet Surya Ali ein Einkommen mit ihren Kursen. Sie bringt Mädchen das Nähen bei. Derzeit hat sie 45 Schülerinnen. „Die Mädchen dürfen im Moment nicht zur Schule gehen. Also kommen sie hierher, um zu lernen“, erklärt Surya Ali.
Eine ihrer Schülerinnen ist ihre eigene Tochter Manucara, 16, die eigentlich die 10. Klasse besuchen würde. „Sie weiß jetzt, wie man näht, ich habe es ihr beigebracht. Sie hat schon ganz alleine ihre ersten Kleider hergestellt, was mich sehr stolz macht. Aber ihre Situation stimmt mich auch immer wieder traurig. Sie möchte Ärztin werden, kann aber ihre Ausbildung nicht fortsetzen. Wir dachten, es sei nur vorübergehend, aber die Schulen sind immer noch geschlossen."
Surya hofft, dass die Schulschließungen für Mädchen bald aufgehoben werden und sich die wirtschaftliche Situation für Frauen in Afghanistan verbessert. Als selfmade Unternehmerin zeigt sie, wie es funktionieren kann.
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