„Das Leben hier ist sehr schwierig geworden, da wir in unserem Dorf nicht genug zu essen haben“, sagt Tsega, während sie einen leeren Korb festhält. Sie lebt in einem kleinen Dorf mit etwa 1.200 Einwohner:innen inmitten einer Bergkette im nördlichen Tigray. „Und die Situation wird immer schlimmer“, fügt Tsega hinzu. Nach Angaben des Welternährungsprogramms benötigen im Jahr 2024 insgesamt 15,8 Millionen Menschen in Äthiopien aufgrund der Dürre, der wirtschaftlichen Lage und den Folgen des Konflikts Nahrungsmittelhilfe. Die Region Tigray ist davon besonders betroffen. „Wir hatten in den letzten vier Jahren nicht genug zu essen. Wir versuchen nur, bis zum nächsten Tag zu überleben und hoffen, dass wir nicht verhungern“, sagt Tsega.
120.000 Bienen für die Gemeinde
Die 55-Jährige ist Teil einer von CARE unterstützten Bienengemeinschaft, welche im Rahmen eines auf sozioökonomische Sicherheit ausgelegten Hilfsprojektes gegründet wurde. Die zwanzig Gruppenmitglieder kümmern sich gemeinsam um die Bienenvölker, um genügend Honig für den Verkauf auf dem Markt zu produzieren und damit ein Einkommen für ihre Familien zu erzielen. CARE unterstützte die Gemeinschaft mit 120.000 Bienen, 40 Bienenstöcken und 26 kg Wachs, mit finanzieller Unterstützung der EU. „Im Vergleich zu anderen Landwirten in unserer Gemeinde haben wir großes Glück, denn wir haben wenigstens die Bienen“, sagt Tsega und beginnt, ein kleines Feuer auf dem Boden zu machen. Sie legt etwas Holz und Kohlen in die Mitte und ihre Kollegin schwenkt ihren Korb, um mehr Rauch zu erzeugen.
Das rauchende Holz kommt in den Bienen-Smoker, welcher genutzt wird, um die Bienen zu beruhigen. Die Bienengemeinschaft wurde schon vor einigen Jahren gegründet. „Meine ganze Hoffnung lag bei den Bienen. Ich habe weder Land noch eine andere Einnahmequelle. Aber mit dem Geld, das wir zweimal im Jahr durch den Verkauf des Honigs erhielten, konnte ich gut leben. Ich konnte sogar Schulbücher, Stifte, Schuhe und Lebensmittel für meine Kinder kaufen“, beschreibt Gebregergis, 51, Vater von acht Kindern, der ebenfalls Mitglied der Gemeinschaft ist. Dann kam der Konflikt. Die Bienenstöcke brannten ab, die Bienen starben und die Gemeinschaft brach zusammen.
In Höhlen verstecken
„Wir können das Leid während des Konflikts nicht mit Worten beschreiben. Wenn wir Schüsse hörten, rannten wir weg und ließen alles zurück. Tagsüber versteckten wir uns in Höhlen, um zu überleben. Wir gingen frühmorgens und kamen nachts zurück und versuchten, etwas zu essen zu finden“, beschreibt Gerbregergis. Viele seiner und Tsegas Nachbarn starben. „Wir sind Landwirte, was wissen wir schon vom Kämpfen? Dort oben auf dem Hügel wurde eine unserer Kühe durch einen Luftangriff getötet“, fährt er fort und lässt den fertigen Bienen-Smoker mit einem schweren Seufzer auf den Boden sinken. „Wir können das nicht Leben nennen. Sechs unserer Nachbarn wurden während des Konflikts verletzt. Sie können immer noch nicht laufen und werden es auch nie wieder können“, fügt Tsega hinzu.
In diesem Gebiet, das in einer steilen Bergkette liegt und nur zu Fuß und in einem halbstündigen Abstieg durch Felsformationen und wilde Natur erreicht werden kann, ist Gehen entscheidend. Die Dorfbewohner:innen gehen überall hin. Sie gehen, um Nahrung zu finden. Sie laufen zwei Stunden bis zum nächsten Markt, um ihr Vieh zu verkaufen. Sie laufen, um Wasser und Weideplätze für ihre Tiere zu finden. Jung und Alt laufen und klettern durch felsiges Gelände, Kinder auf dem Rücken, einen Kanister in der einen und einen Korb mit Brot in der anderen Hand, Kühe vor sich hertreibend. „Wenn du hier nicht laufen kannst, stirbst du“, sagt Tsega und reicht Gerbregergis eine Schutzausrüstung: eine Mütze mit Gesichtsnetz, Handschuhe und Ärmel.
Rückkehr der Hoffnung
„Wir leben in einer sehr schlechten Situation. Wir hungern, weil es nicht genug Nahrung gibt. Erst gab es den Konflikt, jetzt haben wir die Dürre und keine Ernte. Sogar die Bienen sind geschwächt, weil es weniger Blumen und kein Wasser für sie zum Trinken gibt. Sie müssen sehr weit zu Orten mit Bewässerung fliegen. Oft haben sie nicht mehr genug Kraft, um zurückzukommen", sagt Gerbregergis und geht mit seinem Messer zu einem der Bienenstöcke hinüber. Er öffnet den Deckel und kontrolliert das Innere, während ein anderes Mitglied die Bienen mit dem Smoker beruhigt. Die Genossenschaft trifft sich, um Ideen auszutauschen und Lösungen zu finden. Sie adaptieren das Futter und fügten Zucker hinzu, um die Bienen zu stärken. Und sie finden Wege, um sie vor ihren natürlichen Feinden wie Ameisen zu schützen. Eine Person ist dafür verantwortlich, dass die Bienen in einem offenen Tank Wasser trinken können. Gemeinsam kümmern sie sich um die Bienen und unterstützen sich gegenseitig.
„Während des Konflikts hatten wir keine Hoffnung, aber mit den neuen Bienen und Bienenstöcken ist die Hoffnung zurückgekehrt. Die Bienen sind unsere Chance zu überleben. Ich habe sieben Kinder, mein ältestes geht in die achte Klasse. Sie geht oft ohne Stift oder Frühstück zur Schule. Ich hoffe, dass die Bienen das ändern werden“, sagt Tsega und beobachtet, wie eine einzige erschöpfte Biene langsam zu einem der Bienenstöcke zurückfliegt.
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