Astella aus Äthiopien

„Ich war etwa 15 Jahre alt, als meine erste Tochter geboren wurde. Ich lag länger als 24 Stunden in den Wehen und hatte starke Schmerzen. Seit der Geburt habe ich gesundheitliche Probleme und habe mich immer noch nicht vollständig von den Schmerzen erholt“, beschreibt Astella, die heute 34 Jahre alt ist. Sie wurde verheiratet, als sie etwa 12 Jahre alt war - so zumindest ihre Vermutung. Astella ist sich nicht ganz sicher, wie alt sie tatsächlich war, da sie nie eine Altersüberprüfung durchführen ließ. Diese sind in Äthiopien üblich, um festzustellen, ob ein Mädchen alt genug ist, um zu heiraten. Mit vier von zehn Mädchen, die heiraten, bevor sie 18 Jahre alt sind, hat Äthiopien eine der höchsten Früheheraten weltweit. Astella hat inzwischen sechs Kinder. Sie sieht sich die gerahmten Bilder ihrer beiden ältesten Töchter mit ihren Absolventenhüten an. Sie gehen jetzt auf das College. „Ich wurde sehr früh verheiratet. Im Alter von 12 Jahren habe ich den Haushalt bereits vollständig geführt. Ich musste jeden Tag sehr weit laufen, um Wasser zu holen, um auf den Markt zu gehen oder um auf unseren Feldern zu arbeiten. Mein Rücken hat am meisten gelitten und ich fühle mich ständig müde“, fährt Astella fort.

Frau aus Äthiopien mit Huhn

1 Schuljahr = 10 % mehr Einkommen

Eine frühe Heirat birgt viele gesundheitliche Risiken für Mädchen, die Mütter werden, und ihre Neugeborenen. Damit einher gehen negative soziale, wirtschaftliche und psychologische Auswirkungen. Früh verheiratete Mädchen sind aufgrund der ungleichen Machtverhältnisse eher von Gewalt, Missbrauch und erzwungenen sexuellen Beziehungen betroffen. Um den Haushalt zu führen, brach Astella etwa die Schule ab. Bildung, einschließlich Sexualkundeunterricht, ist für Mädchen unerlässlich, damit sie fundierte Entscheidungen über ihre sexuelle Gesundheit und ihr Wohlergehen treffen können. Nach Angaben der Vereinten Nationen bringt jedes Schuljahr bis zu 10 % mehr Einkommen. Bildung steht auch in direktem Zusammenhang mit der Kindersterblichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder von Müttern mit Sekundarschulabschluss oder höher das fünfte Lebensjahr überleben, ist doppelt so hoch wie bei Kindern, deren Mütter keine Schulbildung haben.

Jedes zusätzliche Jahr der Schulbildung einer Mutter verringert die Wahrscheinlichkeit der Kindersterblichkeit um 5 bis 10 Prozent. Äthiopien gehört zu den fünf Ländern mit der höchsten Sterblichkeitsrate bei Kindern unter fünf Jahren. Astella setzt sich nun gegen Frühehen ein. Auch ihren Töchtern rät sie, zu warten. „Ich weiß, wie groß der Schmerz ist, deshalb rate ich meinen Töchtern, nicht zu früh zu heiraten oder zu früh zu gebären. Ich sage ihnen: ‚Ihr könnt jederzeit heiraten, wenn ihr körperlich, seelisch und wirtschaftlich dazu bereit seid‘.“

Mädchen mit Schulmaterial steht neben ihrem Vater

Verhandlungen gegen Frühehen

CARE unterstützt Gemeinden in Äthiopien bei der Reduzierung von Frühehen. In den letzten zwanzig Jahren ist die Zahl der Frühehen zurückgegangen. CARE arbeitet eng mit den Gemeinden zusammen, um über die Folgen von Frühehen zu informieren und aufzuklären.

„Ich hörte das Gerücht, dass mein Vater einen Heiratsantrag für mich angenommen hatte“, erinnert sich die 14-jährige Eyerus. „Ich war sehr deprimiert und wütend, als ich davon hörte. Warum muss ich heiraten? Ich wollte nicht aufhören, zur Schule zu gehen.“ Sie geht in die 8. Klasse und ihr Lieblingsfach in der Schule ist Geografie. In ihrer Freizeit unterstützt sie ihre Familie oder liest ein Buch. Sie berichtet ihrem Schuldirektor von dem Heiratsantrag, der eine der SAA-Gruppen (Social Analysis and Action) von CARE leitet. In diesen Gruppen kommen Gemeindemitglieder zusammen, um über soziale Normen und Traditionen zu sprechen und sie zu hinterfragen und zu verändern. 

Eyerus konfrontierte dann ihren Vater Derso, 51, mit dem Gerücht. Er sagte, der Grund für die Heirat sei, den Familienzusammenhalt zu stärken. Eyerus verhandelte so lange, bis ihr Vater ihre Argumente akzeptierte. Er sagte den Antrag ab und gab die 7.000 äthiopischen Birr (etwa 133 Euro) zurück, die er bereits von der Familie erhalten hatte. „Ich habe verstanden, dass sich unsere Gemeinschaft verändern muss und dass dies die einzig richtige Konsequenz war“, erklärt Derso und sieht seine Tochter stolz an. Er erklärt sich bereit, seine Tochter wieder zur Schule gehen zu lassen. „Ich erzähle jetzt sogar meinen Nachbarn, dass es wichtig ist, dass Mädchen ihre Ausbildung fortsetzen.“

Schülerinnen aus Äthiopien

Starkes Selbstbewusstsein

„Es war ein gutes Gefühl, meinen Vater umstimmen zu können. In der Mädchengruppe habe ich gelernt, wie man verhandelt. Ich habe auch gelernt, selbstbewusst zu sein und welche Folgen eine Frühehe hat“, erklärt Eyerus. CARE hat in den Gemeinden Mädchengruppen initiiert, die den Mädchen in verschiedenen Diskussionsrunden Lebenskompetenzen vermitteln. Die Mädchen kommen zusammen und sitzen auf kleinen Steinen in einem großen Kreis. „Ich habe gelernt, als Mädchen selbstbewusst zu sein“, erzählt Tadella, 14, ein Mitglied der Mädchengruppe, und zeigt ihr Arbeitsbuch, in dem verschiedene Themen behandelt werden - unter anderem auch das Thema Frühehe. „Wenn meine Eltern wollen, dass ich früh heirate, werde ich Nein sagen“. Bevor sie an den Treffen teilnahm, war sie zu schüchtern, um etwas zu sagen. „Jetzt kann ich über meine eigenen Ideen sprechen. Ich möchte Ärztin werden und Leben retten.“

Hawulte aus Äthiopien

Hilfe durch Mädchengruppe

Jede Mädchengruppe wird von einem Mädchen geleitet, die die Diskussion moderiert und die Teilnehmerinnen mit ihren Arbeitsbüchern unterstützt. Hawulte, 18, ist eine dieser Moderatorinnen. Sie heiratete im Alter von 15 Jahren. „Ich habe die Schule abgebrochen, weil meine Familie mich zur Heirat gedrängt hat. Ich habe einen Sohn, den ich mit 16 Jahren zur Welt brachte. Seitdem habe ich mit meiner Gesundheit zu kämpfen. Ich habe mich der Mädchengruppe angeschlossen, die mir geholfen hat, mich besser zu fühlen. Vorher war ich gestresst und ängstlich. Ich verstand nicht, warum meine Freundinnen weiter zur Schule gehen durften“, sagt Hawulte.

Gesellschaftliche Normen im Wandel

Vor der Teilnahme an der Mädchengruppe kannte Hawulte die Folgen von Frühehen nicht. Als sie die im Kreis sitzenden Mädchen danach fragt, heben fast alle die Hand. Die Antworten, die sie Hawulte geben, sind: schwere Verletzungen bei der Geburt, die Gebärmutter ist noch nicht voll entwickelt, größere Anfälligkeit für Infektionen wie HIV, wirtschaftliche Probleme, häusliche Gewalt und soziale Diskriminierung.

Durch die SAA- und die Mädchengruppen von CARE ändern sich die sozialen Normen und die Zahl der Frühehen geht zurück, was zu einem Rückgang der Kindersterblichkeit, einer höheren Bildung für Mädchen und einer besseren Gesundheit der Mütter führt.

CARE legt den Fokus auf die Stärkung von Frauen und Mädchen. Erfahren Sie mehr über unsere Projekte und unterstützen Sie Frauen und Mädchen weltweit.

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