Kahsa im Portrait.

Kahsa schnappt sich die beiden langen Holzstöcke aus dem Lager ihres Nachbarn, die sie mit zwei alten Leinensäcken – die ursprünglich zum Transport von Dünger verwendet wurden – zusammengebunden hat, und läuft los. Eine ihrer Nachbarinnen bekommt gerade ihr Kind. „Wir versuchen unser Bestes, um die Zahl der Hausgeburten zu verringern, aber ohne einen Krankenwagen ist es sehr schwierig“, sagt die 34-Jährige. Aufgrund des Konflikts ist dies derzeit die einzige Möglichkeit für sie, Patientinnen in eine Klinik zu bringen. Vor dem Konflikt erhielten 90 Prozent der Mütter in Tigray pränatale Betreuung. Mehr als 70 Prozent hatten Zugang zu qualifizierten Entbindungsdiensten, wie eine Analyse von Gesundheitsexperten ergab. „Vor dem Konflikt konnten wir die Zahl der Hausgeburten in unserem Dorf fast auf Null reduzieren, weil wir alle aktiv an der Aufklärung über die Risiken von Hausgeburten mitgewirkt haben. Während des Konflikts hatten wir jedoch keinen Zugang zur Klinik. Sie war wegen Schäden geschlossen und es war zu gefährlich, woanders hinzugehen“, erklärt Kahsa.

Rettung von Müttern und Neugeborenen

Eine Hausgeburt birgt ein hohes Risiko für die Mutter und das Neugeborene. Während der Geburt kann jederzeit etwas schief gehen. Die Mutter könnte verbluten, einen Geburtsstillstand erleiden, der eine Fistel verursacht, oder einen Krampfanfall erleiden. „Eine Frau aus unserem Dorf starb an Blutungen, als sie ihr Baby während des Konflikts zu Hause entband“, erinnert sich Kahsa. Sie ist eine Führungspersönlichkeit in ihrer Gemeinde. Sie ist Teil einer sogenannten „Women Lead in Emergencies“-Gruppe, die von CARE und unserem Partner im SELAM-Projekt unterstützt wird. Die Gruppe bringt 25 Frauen zusammen, die über geschlechtsspezifische Themen wie Frauen in der Politik, von Frauen geführte Unternehmen und Gewalt gegen Frauen diskutieren – und damit ihre Stimmen in der Gemeinde stärken.

Kahsa und ihre Mitstreiterinnen sitzen im Kreis und diskutieren.

Selbst nach dem Konflikt gibt es immer noch keine medizinischen Transportdienste. Also haben wir bei einem unserer Treffen über die hohe Zahl der Hausgeburten diskutiert und gemeinsam eine Lösung gefunden“, erklärt Kahsa. Sie griffen auf die alte, traditionelle Art des Patiententransports zurück. Die Patientin wird auf der Trage von zwei Personen transportiert. Die Frauen übernehmen abwechselnd die Verantwortung. Dreißig Minuten dauert der Weg zur Klinik.

Kahsa trägt eine Krankentrage.

Es ist ein funktionierendes System, aber kein Ersatz für einen angemessenen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. „Diesen Monat hat eine Frau ihr Baby verloren, weil es in einer falschen Position lag. Ich war dafür verantwortlich, die Trage zu ihr zu bringen, aber ich kam zu spät, um das Baby zu retten“, erinnert sich Kahsa. Die dreifache Mutter weiß aus erster Hand, warum der Zugang zur medizinischen Versorgung von Müttern so wichtig ist. „Mein Erstgeborenes war eine Hausgeburt. Ich blutete sehr stark und konnte drei Tage lang nicht ohne Hilfe stehen. Meine Familie musste mich überallhin tragen. Ich hatte einen Riss und es dauerte sehr lange, bis er verheilt war“, sagt sie. Ihr zweites Kind wurde in einer Klinik geboren. „Mein Baby hatte eine falsche Position. Ich wurde notoperiert und blieb drei Monate lang in der Klinik. Das hat mein Leben und das meines Kindes gerettet“, sagt sie.

Nur drei Prozent funktionsfähige Gesundheitseinrichtungen

Die Klinik in der Nähe ihres Dorfes ist in einem schlechten Zustand. „Die Klinik wurde stark beschädigt. Sie ist erst seit einem Jahr in Betrieb, aber es fehlt an Material. Vor dem SELAM-Projekt von CARE gab es auch keinen Wasserzugang. Frauen, die ihre Babys zur Welt brachten, mussten selbst einen 5-Liter-Kanister mit Wasser für ihre eigene Behandlung mitbringen“, sagt Kahsa. Nur drei Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Tigray sind seit dem Konflikt voll funktionsfähig. Es mangelt an Material und die Einrichtungen wurden teilweise oder vollständig beschädigt. 93 Prozent der Überweisungseinrichtungen verfügen nicht über die Grundausstattung, die für die Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen erforderlich ist. „Wir müssen mehr für die Mütter tun“, sagt Kahsa. Laut einer Studie des regionalen Gesundheitsbüros hat sich die Müttersterblichkeit in der Region seit Ausbruch des Konflikts verfünffacht.

Kahsa trägt einen Wassertank.
Kahsa und Sarah Easter sitzen zusammen.

Dieses Niveau ist vergleichbar mit dem von vor 22 Jahren. Die meisten Todesfälle sind auf leicht vermeidbare Ursachen wie Blutungen zurückzuführen. Mehr als 80 Prozent der Mütter starben außerhalb einer Gesundheitseinrichtung. Vor dem Konflikt gab es in Tigray weniger als 200 Todesfälle bei Müttern pro 100.000 Geburten. Jetzt liegt der Durchschnitt bei 840 – das ist 210-mal höher als die Müttersterblichkeitsrate in Deutschland. „Die Frauen werden schwanger und haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Und wenn sie in den Wehen liegen, können sie nicht reisen. Es gibt keine Krankenwagen. Wir haben kein Geld, um einen privaten Transport zu bezahlen. Was sollen wir also tun?“, fragt Kahsa. Und selbst, wenn sie es zu einer Klinik schaffen, kann ihnen oft nicht geholfen werden.

Kahsa und die Frauen in ihrer Gruppe möchten das ändern. „Ich versuche, die Frauen in meiner Gemeinde zu unterstützen und die Gruppe zu ermutigen, für ihre Rechte einzutreten. Früher wurden wir in der Gesellschaft nicht gehört. Unsere Ehemänner waren die Oberhäupter und vertraten uns. Jetzt sind wir an der Entscheidungsfindung beteiligt. Es war ein Tabu, für die Gemeinschaft zu sprechen. Jetzt melden wir uns lautstark zu Wort. Endlich haben wir eine Stimme und kämpfen für uns Mütter“, sagt Kahsa abschließend.

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