Hinweis: In dieser Geschichte geht es um sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung. Bei manchen Menschen können diese Themen negative Reaktionen auslösen. Wir bitten Sie, den Text mit Bedacht zu lesen und die entsprechenden Passagen gegebenenfalls zu überspringen.

Der Boden vor der 15-jährigen Elilly* ist übersät mit Zwiebeln, Rüben, Kartoffeln, Paprika und Tomaten. Sie sitzt im Schneidersitz auf einer schmutzigen Plane an einer Straßenecke und wartet geduldig auf Kundschaft. „Die Sonne wird sehr heiß und der Gemüsetransport ist sehr schwer“, beschreibt sie und verscheucht die vielen Fliegen, die auf einer süß-duftenden Tomate sitzen. „Ich verdiene nicht genug, aber als Einzige in meiner Familie, die ein Einkommen hat, ist das alles, was wir haben“, sagt sie. Elilly arbeitet jeden Morgen etwa vier Stunden lang am Rande der Hauptstraße in einer Stadt in Äthiopien und verkauft Gemüse, um ihre Mutter, ihren Stiefvater und ihre vier jüngeren Geschwister zu versorgen. „Ich bin die Älteste. Mein Bruder ist zwölf und geht zur Schule, und meine drei Schwestern sind erst sieben,  fünf und zwei Jahre alt, sie können noch nicht arbeiten”, erklärt sie. Elilly selbst geht in die siebte Klasse, aber nur für ein paar Stunden am Nachmittag, nachdem sie ihre Arbeit beendet hat. „Ich bin dann sehr müde und kann mich im Unterricht nicht richtig konzentrieren. Mathe ist mein Lieblingsfach, weil es logisch ist und ich es leicht verstehen kann“, sagt sie.

Elilly kauf Gemüse auf einem Markt.

Gesellschaftliche Normen wandeln

Dann hat sie plötzlich einen abwesenden Blick in den Augen und ihr ganzer Körper spannt sich an. Ihre Schultern rollen sich zusammen und sie presst ihre Fingerknöchel auf ihre Oberschenkel. „Es geschah mitten in der Nacht, als er kam, um mich zu vergewaltigen. Ich war 14”, beginnt sie, und ihre Stimme wird immer leiser, während sie ihre Hände weiter in ihre Beine presst. „Ich schrie und rannte zu den Nachbarn, als er fertig war. Meine Mutter ist danach zur Polizei gegangen und hat versucht, sich von ihm scheiden zu lassen, aber eine Scheidung wird in unserer Gesellschaft nicht akzeptiert. Also leben wir immer noch zusammen”, flüstert sie und hört mitten im Satz auf zu sprechen. Nach einer langen Pause fährt sie fort: „Ich gebe ihm Geld für Essen, weil er der Mann meiner Mutter ist, aber ansonsten gehen wir uns aus dem Weg. Ich sehe ihn zwar, aber meine Mutter kocht für ihn. Ich bin gezwungen, mit ihm zu leben, und ich hasse es. Wenn ich nur daran denke, wird mir schlecht“, sagt Elilly und wendet sich ab.

Elilly geht durch eine Gasse.

„Ich kann nicht im selben Raum wie er sein, ich gehe, wenn er kommt. Ich bin erst 15, aber ich will ausziehen und alleine leben. Ich verdiene mein eigenes Geld, ich will unabhängig sein. Aber ich will mich auch um meine Mutter kümmern. Sie hat mir sehr geholfen, und ich möchte sie finanziell unterstützen“, sagt sie. Über Elilly und ihre Mutter wird in ihrer Gemeinde sehr viel geredet. „Unsere Nachbarn wissen, was mit mir passiert ist. Und jetzt wird meine Mutter wegen dem, was mir passiert ist, diskriminiert. Ich möchte ihren Namen und ihren Ruf wiederherstellen, indem ich die Ansichten der Gemeinschaft ändere. Es ist nicht ihre Schuld, was ihr Mann mir angetan hat, aber die Gesellschaft gibt zuerst den Frauen die Schuld. Bei gesellschaftlichen Anlässen zeigen sie auf sie und tuscheln über die Vergewaltigung. Ich hasse das“, sagt sie.

„Ich esse allein"

Ihre Mutter verlor ihren Kiosk und ging in Konkurs. „Früher war sie die Ernährerin unserer Familie, aber während der Pandemie wurde es noch schlimmer. Wir mussten Kredite von unseren Nachbarn aufnehmen und versuchen immer noch, sie zurückzuzahlen“, erklärt Elilly. Auch ihr Stiefvater findet keine Arbeit, so dass die ganze Familie von Elillys Geschäft abhängt. „An guten Tagen verdiene ich 200 Birr (3,25 €), von denen ich neue Produkte kaufen und meine Familie ernähren muss."

Elilly hält einen Teller in der Hand.

„Ich kaufe einen vollen Topf Tomaten für 200 Birr und verkaufe sie für 300. Ich würde gerne mehr verkaufen und mehr Produkte anbieten, aber das geht bisher nicht“, sagt sie. Manchmal, wenn sie nicht genug verkaufen kann, nimmt sie die Lebensmittel mit nach Hause, bevor sie schlecht werden. „Ich verliere meine Investition, aber meine Familie kann essen. Ich verdiene nicht genug, um genug Essen für meine Familie zu haben. Wir kaufen Lebensmittel nur in sehr kleinen Portionen“, beschreibt Elilly. Sie verbrauchen 0,5 kg Reis für sechs Personen pro Mahlzeit und kochen eine Soße aus Tomaten, Zwiebeln und Paprika mit viel Wasser, um die für die Mahlzeit benötigte Menge zu strecken.

„Ich esse etwa einen Viertelteller pro Mahlzeit“, sagt sie und teilt mit den Händen einen Teller mit Bohnen in vier Viertel, um zu zeigen, wie viel sie im Durchschnitt isst. „Ich esse allein. Manchmal isst meine Mutter mit mir, aber von meinem Stiefvater bin ich räumlich getrennt. Er isst mit seinen Kindern, denn er mag nicht, wenn ich mit ihnen esse“, sagt sie.

Elilly geht über eine Straße.

Hoffnung schenken

In dieser schwierigen Situation hat Elilly durch CARE Hilfe erfahren. Sie sit Teilnehmerin in einer von Beiersdorf unterstützten CARE-Jugend-Spargruppe geworden, die ihr dabei hilft, für ihre Familie zu sorgen. „Die Spargruppe hat mir Hoffnung gegeben und mein Leben verändert. Selbst ich als Überlebende einer Vergewaltigung kann Teil dieser Gruppe sein. Wir sprechen über andere Dinge als nur über das, was mir widerfahren ist. Ich bin ein gleichberechtigtes Mitglied der Gruppe, die mich nicht nur als das Mädchen, das vergewaltigt wurde, identifiziert. Ich bin so froh, in dieser Gruppe zu sein. Ich habe inneren Frieden gefunden“, beschreibt Elilly. Mit der Unterstützung von CARE konnte sie ihr Gemüsegeschäft ausbauen und mit den Ersparnissen aus der Gruppe kann sie sich und ihre Familie besser versorgen. „Mit dem Geld, das ich verdiene, konnte ich Schuhe für mich und meine Geschwister kaufen. Und ich kann meine Mutter unterstützen. Was wir jetzt erreichen können, ist dank der Ersparnisse, Kredite und CARE, Realität", sagt sie abschließend.

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*Name zum Schutz geändert, Elilly hat diesen Namen für die Zwecke dieser Geschichte selbst gewählt.