Ein Appell zum Weltflüchtlingstag von CARE-Nothilfereporterin Sarah Easter

Wir sprechen meist nicht mit, sondern über geflüchtete und vertriebene Menschen. Wir zählen sie, während wir sie nicht kennen. Mehr als 122 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Eine Zahl, die zu groß ist, um sie zu begreifen. Größer als die Bevölkerung Deutschlands, Österreichs und der Niederlande zusammen.

 

Marias Tochter sitzt auf ihrem Schoß.
Souad formt mit ihren Händen ein Herz.

In meinem Beruf als CARE-Nothilfereporterin lerne ich die Menschen hinter den Zahlen kennen. Ich höre die Geschichten, die in der öffentlichen Debatte oft fehlen und kaum wahrgenommen werden. 

Ich denke nicht an 122 Millionen. Ich denke an Jaqulin, die im Südsudan mit ihren Kindern im Arm auf einer dünnen Decke vor den geschlossenen Toren eines Aufnahmezentrums schläft. Ich denke an Assim, 13 Jahre alt, der die Nächte auf einem Baum verbrachte, um sich vor Hyänen zu schützen. An Maria, die im Tschad im heißen Sand nach Wasser gräbt. An Teissir, die ihre verletzte Schwester aus dem brennenden Haus trug. Und Faduz, die ihre Kinder in Somaliland an ihren Körper drückte, um sie vor den Kugeln zu schützen. An Joaquima, deren Bruder in Mosambik von Extremisten geköpft wurde. An Haifa, die im Sindschar mit ansehen musste, wie Mütter entscheiden, welche ihrer Kinder sie auf der Flucht mit in die Berge nehmen und welche sie zurücklassen. An Marwa in Jordanien, 15 Jahre alt, die Architektin werden will, um ihre Heimat Syrien wiederaufzubauen. An Souad, die blind in Syrien durch Explosionen und Minenfelder floh. An Tatiana, die auf der Flucht ihr Kind in einem dunklen, leeren Krankenhaus in der Ukraine zur Welt brachte, während draußen Bomben fielen. An Hanna aus Mariupol, die aus Angst nie höher als in den ersten Stock geht, um im Ernstfall schnell in den Keller fliehen zu können. An die Rentnerin Larisa, die jetzt in einem alten Theater im Osten der Ukraine auf einem Feldbett schläft. An Olena, deren Sohn in Kharkiv in einer U-Bahn-Station zur Schule geht. 

Sarah im Gespräch mit vier Frauen.
care-ukraine-sarah-easter-im-gespraech

 

Die Not wächst schneller als die Hilfe

Was diese Menschen vereint, ist der Verlust von Zugang zu grundlegender Versorgung. Aufgrund eines alarmierenden Rückgangs an humanitärer Finanzierung weltweit mussten viele lebenswichtige Programme gekürzt oder ganz eingestellt werden. Das ist besonders fatal, wenn Menschen nicht nur vor Gewalt fliehen, sondern in den Zufluchtsorten weiter hungern oder ohne medizinische Versorgung bleiben. Fehlende Gelder kosten Menschenleben.

Deshalb braucht es konkrete Schritte. Ein Ausbau humanitärer Budgets auf nationaler und internationaler Ebene gehört dazu. Dieser muss sich am realen Bedarf, nicht an politischen Stimmungen orientieren. Dabei geht es nicht nur um Schutz, sondern um Teilhabe, Perspektive und Wiederaufbau. Es braucht nicht nur Zelte, sondern Zukunft. Nicht nur kurzfristige Hilfe, sondern nachhaltige Unterstützung.

Der Weltflüchtlingstag zeigt, was fehlt: Der politische Wille, humanitären Zugang auch in Konfliktgebieten durchzusetzen. Und nicht zuletzt braucht es eine stärkere Einbindung der Betroffenen selbst – nicht nur als Empfänger:innen von Hilfe, sondern als Expert:innen ihrer Lebensrealitäten.

Denn jeder Mensch auf der Flucht hat ein Recht darauf, gesehen, gehört und genannt zu werden. 

Jetzt spenden