In dem ruhigen Dorf Sviatohirsk in der Ostukraine sitzt die 61-jährige Olga in ihrem Haus, während draußen der Wind das leise Grollen entfernter Explosionen herüberträgt – ein Geräusch, das zu einem Teil ihres Lebens geworden ist. „Wir sind froh, dass wir uns dieses Jahr nicht in unserem Außenkeller vor den Bomben verstecken mussten, sagt Olga mit ruhiger, aber gemessener Stimme. „Wir hören die Explosionen zwar oft, aber wir wissen, dass sie noch weit weg sind." 

Die Frontlinie ist in den letzten Monaten langsam, aber stetig näher an Sviatohirsk herangerückt, sodass das kleine Dorf jetzt nur noch 30 Kilometer vom Konflikt entfernt ist. Drei Jahre Krieg haben Olgas Fähigkeit geschärft, das, was sie hört, zu interpretieren. „Wir haben gelernt, die Geräusche zu unterscheiden, denn wir hören jeden Tag etwas. Manchmal sind es Minenräumungen oder Raketen, aber nicht nah genug.“ Sie blickt aus dem Fenster und fügt hinzu: „Gestern war der Wind stark, deshalb war es lauter als sonst. Ich frage dann immer meinen Mann, ob er etwas gehört hat, und er beruhigt mich. Jetzt ist es besser als am Anfang.“

Olga kuschelt mit einem Hund.

Als in der Ferne drei scharfe Schüsse ertönen, zuckt niemand zusammen. „Wir achten nicht mehr auf Schüsse“, sagt Olga unbeeindruckt. „Wahrscheinlich schießt jemand auf Vögel oder leere Dosen.“ Sandra, der gerettete Hund der Familie, ist nicht so gleichgültig. Sie zittert bei jedem lauten Geräusch, denn sie ist traumatisiert von den schweren Kämpfen in den ersten Kriegstagen. Vorbeifahrende Lastwagen oder Donnergrollen reichen aus, damit sie sich mit zitterndem Körper unter dem Tisch versteckt. Die Hündin wurde ausgesetzt, als ihre Besitzer vor den Kämpfen flohen und auf dem Land zurückgelassen, bis Olga sie aufnahm. „Dort lebten noch viele andere Hunde, aber sie haben nicht überlebt“, sagt sie leise.

Zerstörtes Wassersystem

Das Leben in Sviatohirsk ist ein täglicher Kampf, bei dem selbst Grundbedürfnisse wie Wasser schwer zu bekommen sind. Das Wassersystem des Dorfes wurde zu Beginn des Krieges zerstört, sodass die Bewohner fast drei Jahre lang kein fließendes Wasser hatten. „Wir haben Glück, dass wir unseren Brunnen haben“, sagt Olga und zögert, bevor sie hinzufügt: „Aber die Wasserqualität ist schlecht. Ein Freund hat das Grundwasser analysieren lassen, weil es schlecht riecht und eine rötliche Farbe hat. Man hat darin Überreste von Leichen gefunden.

Im ersten Jahr des Krieges herrschte im Dorf Chaos. Leichen lagen unbeerdigt auf den Straßen, und die Dorfbewohner:innen waren gezwungen, sie entweder liegen zu lassen, wo sie gestorben waren, oder sie eilig in ihren Hinterhöfen zu begraben. Auch Olga. Als das Bombardement kurz pausierte, verließ sie ihr Versteck im Keller, um einen erschossenen Familienfreund zu begraben. „Es war nur ein Feldweg in der Nähe des Friedhofs“, sagt sie. „Wir hatten keine Zeit für mehr. Wir mussten die Toten begraben, wo wir konnten.“

Olga steht vor ihrem zerstörten Haus.

Diese überstürzten Beerdigungen haben dazu geführt, dass das Grundwasser mit Leichenpartikeln verunreinigt und zum Trinken ungeeignet ist. „Wir trinken nur abgefülltes Wasser, das wir von den Freiwilligen bekommen“, erklärt Olga. Einmal in der Woche bringt ein Wasser-Lkw einer CARE-Partnerorganisation Trinkwasser in das Dorf. Der Freund der Familie, den Olga beerdigte, wurde später exhumiert und ordnungsgemäß beerdigt. Doch der örtliche Friedhof ist vermint, was den Besuch der Familie zu einem tödlichen Risiko macht. „Ich besuche die Gräber meiner Eltern nur unter Vorsicht“, sagt Olga. „Sie befinden sich in der Nähe des Eingangs, daher ist es relativ sicher. Aber ich habe auch Familienmitglieder, die weiter weg begraben sind. Wenn ich sie besuche, warte ich darauf, dass ein Nachbar zuerst geht, und trete nur dorthin, wo er hintritt. Ich habe zu viel Angst, um allein zu gehen.

Babushkas Umarmungen

Trotz der Entbehrungen finden Olga und ihre Nachbar:innen Trost in den kleinen Zeichen des Wiederaufbaus. Mit der Unterstützung von CARE hat das Dorf jetzt eine Wäscherei und ein Wasserspeichersystem. Der Duft von frischem Waschmittel erfüllt den Raum, während eine Freiwillige die Liste für den heutigen Tag prüft, und im Hintergrund ist das leise Summen einer Waschmaschine zu hören. Der Wäscheservice ist für Wochen und Monate im Voraus ausgebucht. Er ist zu einem sozialen Rettungsanker für die 1.000 verbliebenen Bewohner:innen geworden, von denen die meisten Rentner:innen oder Menschen sind, die nicht fliehen können.

Sviatohirsk selbst erwacht langsam wieder zum Leben. Geschäfte und Cafés werden wiedereröffnet, und die Häuser werden mit Hilfe der CARE-Partnerorganisation repariert. Im Jahr 2024 wurden über 400 zivile Häuser repariert – inklusive dem von Olga, und zum Glück wurde keine neue zivile Infrastruktur beschädigt. In diesem Frühjahr kehrten Olgas Töchter und Enkelkinder in ihr Dorf zurück, nachdem sie in den ersten Kriegstagen geflohen waren. Das Wiedersehen brachte wieder Licht in ihr Leben. „Ich bin so froh, dass ein Teil meiner Familie wieder da ist und dass Babuschka ihre Enkelkinder wieder umarmen und unterhalten kann“, sagt Olga mit einem strahlenden Lächeln.

 

Olga steht in ihrem kleinen Keller.
Ein Wäscheraum in der Ukraine.

Die Front rückt näher und der Wind trägt die Geräusche einer ungewissen Zukunft für Olga und ihre Familie heran, doch Olga ist fest entschlossen. Sie weigert sich, das Dorf trotz der Herausforderungen und Gefahren zu verlassen. „Wenn die Kämpfe noch einmal hierher kommen, werde ich mich nicht von diesem Haus entfernen. Dies ist mein Zuhause. Meine Eltern sind hier begraben. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht. Mein Mann und ich haben beschlossen, dass wir bis zu unserem Tod hier bleiben werden“, sagt sie, hält inne und atmet tief durch. „Wir sind bereit und haben den Keller so belassen, wie er war, mit einem Notvorrat an Lebensmitteln und Wasser. Wir haben auf die harte Tour gelernt, wie man sich vorbereitet. Aber wir hoffen immer noch, dass wir unseren Keller nie wieder als Zuhause nutzen müssen.“ Inmitten der Ungewissheit klammert sich Olga an das, was ihr bleibt: ihr Haus, ihre Familie und die Gemeinde, die sich langsam wieder um sie herum aufbaut. „Wir hoffen“, sagt sie einfach, und ihre Worte tragen das Gewicht von jemandem, der gelernt hat, im Überleben Kraft zu finden.

CARE und seine Partner werden weiter Hilfe leisten, damit Menschen wie Olga ausreichend versorgt bleiben. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende!

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