In einem Transitzentrum in der Ostukraine, einem Zufluchtsort für Evakuierte aus den Frontgebieten, wird der Tribut des Krieges auf herzzerreißende Weise sichtbar. Das Zentrum war einst von Applaus erfüllt. Die roten Samtsitze, die jetzt an die Wände gepresst sind, beherbergten Zuschauer:innen, die unter den geschwungenen lila Vorhängen applaudierten und jubelten. Die Bühne, auf der einst Musik erklang und Schauspieler:innen Geschichten zum Leben erweckten, beherbergt jetzt Reihen von Feldbetten und eine Heizung. Eine Frau in einem rosafarbenen Bademantel hält ihre Hände an die Heizung und wiegt sich, um warm zu bleiben. Es sieht aus wie ein Echo eines Tanzes – ein Schatten der Anmut an einem Ort, an dem keine Anmut mehr existiert.

Aber dies ist kein Ballett, keine elegante Aufführung unter den einst großartigen Lichtern des Theaters. Dies ist die verzweifelte Choreografie des Überlebens, ein stiller und trauriger Tanz der Vertriebenen, um sich warm zu halten. Der Flügel ist mit einem grünen Tuch bedeckt, still und vergessen, ein Relikt aus einer Zeit, als es in diesen Mauern noch Freude gab. Die Luft ist kalt und still, nur ein gelegentliches leises Husten oder das Schlurfen von Schritten durchbricht sie. Die weißen Vorhänge der Bühne bewegen sich schwach im Luftzug, als würden sie beklagen, was aus diesem Ort geworden ist.

Reihe 17, Sitz 8
Auf einem der abgelegten Betten, wo früher Reihe 17, Platz 8 war, sitzt die 66-jährige Larisa. Ihr kleiner Körper ist in einen schweren Mantel gehüllt, der kaum etwas gegen die Kälte ausrichten kann. Sie schläft mit allem, was sie noch besitzt: Hut, Mantel und Schuhe. Der Wind draußen drückt gegen die Wände, ein leises, klagendes Heulen, das in die Halle dringt und alle im Raum frösteln lässt. Larisa zieht ihren Mantel fester um ihre dünnen Schultern. „In Prokrovsk war es noch kälter. Es war nichts mehr da. Keine Heizung. Kein Strom“, erinnert sie sich. Aus Angst, getötet zu werden, und weil sie kaum laufen konnte, verließ sie ihr Haus nicht und wartete auf die nächste Explosion und darauf, dass irgendetwas ihr Haus trifft, darauf, dass jemand kommt und hilft. „Ich hatte Angst, zu fallen und nicht mehr aufstehen zu können. Es gab niemanden, der mir helfen konnte.
Alle haben mich verlassen. Meine Kinder, meine Nachbarn - sie sind alle gegangen. Mich haben alle vergessen“, sagt sie. Sie hält inne, ihre Stimme verstummt. Eine gedämpfte Stille des Unbekannten und der Mangel an Worten, um ihr Trauma zu beschreiben. In der Nähe läuft Tatiana, eine Sozialarbeiterin von CAREs Partnerorganisation, schnell durch den Flur und bietet Decken, Suppe oder freundliche Worte an. „Larisa hat heute ein wenig gegessen“, sagt Tatiana leise. „Es braucht Zeit, bis sie begreifen, was passiert ist und sich nach dem Trauma, das sie erlebt haben, öffnen. Ich versuche, auf alle zuzugehen, damit sich niemand allein fühlt. Manchmal helfe ich mit den Windeln oder Rollstühlen.“ Als sie eine ältere Frau auf der Suche nach der Toilette entdeckt, rennt Tatiana los, um ihr den Weg zur richtigen Tür zu zeigen.


Nicht mehr gebraucht
„Ich habe zu viel Angst, um Wasser zu trinken“, gibt Larisa zu. Sie fühlt sich oft schwach und hat Schwierigkeiten, ihr Klappbett zu verlassen. „Die Freiwilligen sagen mir, ich soll trinken, aber ich kann nicht. Heute bin ich in der Toilette gefallen und konnte nicht mehr aufstehen.“ Sie hält inne, ihre Stimme zittert und ihre Gedanken gehen zurück zu ihrer Zeit in Prokrovsk. „Ich werde nicht mehr gebraucht. Ich weiß nicht einmal, ob mein Haus noch steht oder ob es in Schutt und Staub verschwunden ist. Als ich floh, hatten die Wände Risse. Mein Badezimmer wurde getroffen. Ich habe Zeitungen benutzt, um die Löcher abzudecken.“ Ihre Stimme stockt, und sie zieht ihren Mantel noch fester. Eine dunkle, flauschige Katze mit stechenden Augen springt auf ihr Bett. Die Katze streift im Transitzentrum umher - sie wurde von ihren früheren Besitzern zurückgelassen und wird nun von den Vertriebenen versorgt. Sie kommt oft, um zu kuscheln oder Larisas Füße warm zu halten, und bietet einen kleinen, flackernden Trost. Die Katze ist, wie die Menschen hier, ein Flüchtling - ein Überbleibsel eines zurückgelassenen Lebens. Larisa streichelt abwesend über ihr Fell. „Es gibt jetzt nur noch mich und diese Katze“, flüstert sie. „Alle anderen sind weg.“

Nur ein weiterer Job
Draußen stehen Evakuierungsbusse im eisigen Wind, ihre einst leuchtend gelbe Farbe ist durch Schmutz und Staub verblasst. Das Wort „EVAKUIERUNG“ prangt in fetten roten Buchstaben auf dem staubigen Fenster, zusammen mit einer Telefonnummer. Jeden Tag bringen die Busse von CAREs Partnerorganisation neue Evakuierte zum Transitzentrum. In einem davon sitzt Vitalii, 55, hinter dem Steuer. „Ich bin mein ganzes Leben lang Busfahrer gewesen“, sagt er achselzuckend. „Das ist nur ein weiterer Job. Ich bekomme einen Anruf, mir wird gesagt, wie viele ich abholen soll, und ich fahre los.“ Doch seine Worte spiegeln nicht das Risiko seiner Aufgabe wider. Jede Fahrt nach Prokrovsk ist ein Glücksspiel und eine Mutprobe, denn die Frontlinie rückt immer näher. Das Geräusch von Granaten ist allgegenwärtig, und die kugelsichere Weste, die er trägt, ist eine grimmige Erinnerung an das, was auf dem Spiel steht.

„Das Schwierigste“, gibt er zu, „ist die Stille auf dem Rückweg. Die meisten von ihnen sprechen nicht. Sie sitzen einfach mit gesenktem Kopf da und gehen dem Unbekannten entgegen. In den letzten Monaten hat die Partnerorganisation von CARE täglich etwa 15 Menschen evakuiert. Die meisten Evakuierten sind zwischen 40 und 60 Jahre alt, Menschen, die noch glauben, dass sie ein neues Leben beginnen können.

Ältere Menschen und Menschen mit eingeschränkter Mobilität, wie Larisa, bleiben oft zurück. Der Bus kommt zwischen 12:00 und 13:00 Uhr an und bleibt nur 15 Minuten, bevor er so schnell wie möglich weiterfährt. 80 % der ankommenden Menschen fahren mit dem Zug weiter in den Westen oder werden von Familienangehörigen mitgenommen. Die anderen wie Larisa bleiben in der alten Konzerthalle, bis Sozialarbeiter:innen eine langfristigere Bleibe für sie finden. Anstelle von großen Theateraufführungen zeigt das neue Theater eine andere Szene: Wo einst Musik und Freude die Luft erfüllten, halten sich nun Menschen, die alles verloren haben, an den letzten Dingen fest, die ihnen geblieben sind: ihr Leben, ein paar kleine Habseligkeiten und die Wärme von Helfer:innen, die sie gerettet haben und ihnen zur Toilette und zum Essen helfen.
CARE und seine Partner werden weiter Hilfe leisten, damit Menschen wie Larisa weiterhin Hilfe erhalten. Unterstützen Sie unsere Arbeit mit Ihrer Spende!