Um 4 Uhr morgens ist es still im Haus in Ost-Darfur, Sudan. Alle schlafen, bis die Schreie beginnen. Die drei Schwestern – Teissir (23), Oumina (22) und Amani (20) – wachen in ihren Betten auf, geweckt von Explosionen und Schüssen. Dann fliegt eine Granate durch das Fenster.

Im Haus bricht Panik aus. Teissir und Amani schaffen es durch Rauch und Flammen nach draußen. Teissir hört ihre Mutter rufen, dass sie nach ihrem Vater suchen werde, bevor sie in der Menge panisch fliehender Menschen verschwindet. Doch Oumina fehlt. „Ich konnte sie nirgendwo sehen. Ich schrie ihren Namen und drehte mich zum brennenden Haus um. Ich ging rein, um nach ihr zu suchen, und sah sie auf dem Boden, wie sie zur offenen Tür kroch. Es waren überall Flammen“, erinnert sich Teissir.

„Ich brannte", erklärt Oumina. „Dann kamen meine Schwestern und zogen mich nach draußen“, fügt sie hinzu, während sie ihren linken Arm nah an ihren Körper hält. Der Arm ist mit Wunden und Brandnarben übersät, ein Muster zeigt, wo die Flammen entlanggezogen sind. „Wir haben Sand benutzt, um die Flammen zu ersticken, da es nirgendwo Wasser gab“, fährt Teissir fort.

All das geschieht, während die Bomben explodieren und die Schüsse weitergehen. Sobald die Flammen gelöscht sind, zieht Teissir Oumina auf die Beine und schreit, dass sie rennen müssen.

Die drei Schwestern Teissir, Oumina und Amani blicken in die Kamera.
Die drei Schwestern Teissir, Oumina und Amani (v. l. n. r.). Nach einem brutalen Angriff auf ihr Dorf, bei welchem Oumina schwer verletzt wurde, mussten sie fliehen.

„Wir haben sie halb getragen, halb gezogen, und rannten 30 Minuten lang bis zu einer Schule etwas außerhalb unseres Dorfes, wo sich alle anderen versteckt hatten. Es wurde so viel geschossen, und wir sahen, wie unsere Nachbarn links und rechts getroffen zu Boden fielen“, sagt Teissir. „In der Schule angekommen sagte mir eine Frau, ich solle meine Schwester zurücklassen, weil sie sterben würde. Ich schrie sie an, dass sie nicht sterben wird und ich sie zur Not trage“, fährt sie fort.

Die Erinnerung bringt eine schwere Stille über die drei Schwestern, als sie daran denken, wie knapp Oumina dem Tod entkam. „Ich dachte nur an meine Mutter. Dass, wenn sie hier wäre, alles in Ordnung wäre und dass sie wüsste, was zu tun ist“, fügt Oumina hinzu. Doch ihre Mutter ist im Chaos verschwunden. Wegen der Verbrennungen und Rauchschäden schwillt Ouminas Kehle zu, sodass sie keine Flüssigkeit aufnehmen kann. Teissir findet einen Luftballon, füllt ihn mit Wasser und gibt ihr kleine Tropfen davon. Sie verwendet auch Asche, um die offenen Wunden auf Ouminas Arm zu bedecken und zu schließen.

Verloren sein

„Es war so viel Rauch im ganzen Dorf, dass wir nichts sehen konnten. Die Angriffe kamen immer näher, also mussten wir weiterziehen. Wir folgten unseren Nachbarn. Wir ließen unsere Eltern zurück, weil wir sie nicht finden konnten. Wir wussten nicht, wohin wir gingen, wir liefen einfach, einen Fuß vor den anderen setzend. Wir liefen wie jemand, der verloren ist, weil wir das waren: verloren“, sagt Teissir und wischt sich die Tränen ab.

Portraitfoto von Teissir, Geflüchtete im Tschad aus dem Sudan.

Sie atmet tief durch und fährt fort: „Ich dachte, wir würden sterben. Es blieb nichts mehr für uns. Ich wollte nicht mehr aufstehen. Ich hatte keine Kraft mehr weiterzugehen. Ich wollte einfach liegen bleiben und auf meinen Tod warten, aber meine kleine Schwester gab mir die Kraft weiterzumachen.“ Teissir greift Amanis Hand. „Ich hatte Glauben. Ich hatte Hoffnung. Wir mussten weitermachen und nicht aufgeben. Also sagte ich meinen Schwestern, sie sollten aufstehen. Gehen. Steht auf! Eines Tages werden uns Menschen helfen. Eines Tages werden unsere Eltern uns finden“, sagt Amani.

Nach zehn Tagen erreichen die Schwestern im November 2023 das Nachbarland Tschad, wo bis November 2024 712.000 sudanesische Flüchtlinge Zuflucht gesucht haben. Sie kommen in ein Flüchtlingscamp und erfahren, dass eine Nummer für sie hinterlegt wurde. Als sie anrufen, ist es ihre älteste Schwester, Nima. Sie war mit ihren Kindern ein paar Monate zuvor im Camp angekommen und hatte ihre Nummer hinterlegt, damit ihre Familie sie finden konnte.

Rückkehr nach Sudan, um die Mutter zu finden

Die Schwestern bekommen eine Hütte im Camp, aber aufgrund fehlender finanzieller Mittel gibt es keine Essensverteilungen mehr. Sie erhalten Bargeldunterstützung von CARE, um sich selbst zu versorgen, die sie für Lebensmittel wie gelbe Erbsen, Tomaten, Speiseöl, Mehl, Salz und Zucker verwenden. „Bevor CARE uns unterstützt hat, gab es kein Essen. An manchen Tagen hatten wir gar nichts zu essen, aber daran kann man nichts ändern. Man ist eine Weile schwach, dann steht man auf und macht weiter. Man geht und sucht Arbeit. Wenn es kein Essen mehr gibt, werden wir arbeiten. Wir haben Hände, also werden wir einen Weg finden“, sagt Teissir. Es sind Amani und Teissir, die kochen, da Oumina nicht in die Nähe des Kochfeuers gehen kann. Sie träumt immer noch ständig von Feuer.
 

Die vier Schwestern Teissir, Nima, Oumina und Amani sitzen zusammen und blicken in die Kamera.
Oumina, Geflüchtete aus dem Sudan im Tschad, blickt in die Kamera.

 

Zwei Monate lang versuchen die Schwestern, im Tschad ein neues Leben aufzubauen. Eines Tages teilt Teissir ihnen jedoch mit, dass sie beschlossen hat, in den Sudan zurückzukehren, um ihre Mutter zu finden. „Sie flehten mich an, bei ihnen zu bleiben. Sie sagten, ich würde dort sterben. Aber ich bin trotzdem gegangen. Ich ging, weil ich nicht schlafen konnte. Ich musste sie finden.

Fünf Monate verbringt sie im Sudan auf der Suche nach ihrer Mutter, versteckt sich in Büschen, meidet die Kämpfe, bleibt von Dörfern fern und schleicht hinein und hinaus, um jeden, den sie trifft, zu fragen, ob sie etwas von ihrer Mutter gehört haben. „Ich sah viele Explosionen. Ich sah Menschen sterben. Das Einzige, was mich weitermachen ließ, war mein Handy und das Wissen, dass ich mit meinen Schwestern sprechen konnte, wenn das Netzwerk es erlaubte“, sagt Teissir. Sie schaffen es, etwa einmal im Monat miteinander zu sprechen.

Nima, die Älteste, hat ein Handy. Deshalb ruft Teissir die gleiche Nummer an, die bei der Registrierung im Flüchtlingscamp hinterlassen wurde und die Schwestern zusammenführte. „Ich habe sichergestellt, dass ich mir die Nummer merke und jede Ziffer in mein Herz und meine Seele schreibe. Ein Stück Papier hätte ich verlieren können, oder es hätte gestohlen werden können. Wenn wir gesprochen haben, habe ich ihnen gesagt, sie sollen sich keine Sorgen machen und dass ich Mutter finden würde“, erklärt Teissir.

Oumina, Amani und Nima blicken auf ein Handy.
Teissir machte sich auf den Weg zurück in den Sudan, um ihre Mutter zu finden. Via Handy blieb sie mit ihren Schwestern im Tschad in Kontakt.

„Nach fünf Monaten der Suche, des Versteckens und des Rennens musste ich mir eingestehen, dass ich sie nicht finden würde. Ich war so schwach, weil es nicht genug Essen oder Wasser gab. Also gab ich auf und drehte um. Zurück in den Tschad. Zurück zu meinen Schwestern“, sagt Teissir. Es dauert 73 Tage, bis sie es schafft. Sie reist zu Fuß, mit dem Bus und mit dem Auto, macht zahlreiche Umwege. Sie hat große Angst, als junge Frau alleine zu reisen. Leider zu Recht: Unterwegs wird sie mehrmals ausgeraubt, verliert alles, was sie hat. Doch der Wille, zu ihren Schwestern zurückzukehren, ist größer.

Die Schwestern beim Wiederaufbau ihrer Hütte.

„Wir sind Schwestern"

„Es war dunkel, als ich endlich das Camp fand. Als ich ankam, fand ich unsere Hütte zerstört vor, und meine Schwestern waren weg. Doch ich hatte Glück: Eine Nachbarin zeigte mir den Weg zu Nimas Unterkunft und mit großer Erleichterung erfuhr ich, dass Oumina und Amani ebenfalls dort untergekommen waren. 

Die drei Schwestern schlafen, als ein Klopfen sie weckt. Sie hören Teissirs Stimme. „Ich bin es!“

Sofort fallen sie sich in die Arme und weinen. „Wir waren so glücklich, sie zu sehen. Wir wussten nicht, ob sie es schaffen würde. Wir haben ihr nicht gesagt, dass unsere Hütte von Regen und Überschwemmungen weggespült wurde, weil sie schon genug Sorgen im Sudan hatte“, sagt Amani mit einem Lächeln, während Teissir den Kopf schüttelt.

Seit einer Woche sind die Schwestern wieder vereint. Doch wie geht es jetzt weiter?
Das erklärt Teissir: „Wir bauen unsere Hütte wieder auf. Wir haben zugesehen, wie andere Hütten gebaut haben und davon gelernt. Bald haben wir wieder ein Zuhause. Und wenn das Essen aufgebraucht ist, werden wir Arbeit finden, um zu überleben. Wir sind Schwestern. Wir unterstützen uns gegenseitig, und als Familie werden wir Wege finden, zu überleben und ein besseres Leben für uns aufzubauen!"

CARE unterstützt Geflüchtete im Tschad, setzt aber auch seine unmittelbare Nothilfe im Sudan fort. Mit ihrer Spende helfen Sie Frauen wie Teissir, Oumina, Amani und Nima, deren Zusammenhalt und Kraft für den Überlebenswillen so vieler Menschen stehen, die CARE in der aktuellen Krisensituation erreicht.

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Die Arbeit von CARE im Tschad

Das von CARE mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union durchgeführte Projekt im Distrikt Guéréda im Osten des Tschad konzentriert sich auf die Verbesserung der Gesundheits- und Ernährungssituation von gefährdeten Gruppen, insbesondere von Kindern unter fünf Jahren und schwangeren oder stillenden Frauen. Das Projekt gewährleistet den kostenlosen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen Grundversorgung, einschließlich Screening und Behandlung von akuter Unterernährung, durch die Stärkung der Gesundheitssysteme. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören der Aufbau von Kapazitäten für das Gesundheitspersonal, die Ausstattung von Gesundheitszentren mit wichtigen Hilfsgütern, die Unterstützung von Überweisungssystemen und die Integration von WASH-Praktiken (Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene) in Gesundheits- und Ernährungsprogramme.