Um 6 Uhr morgens bindet Hawa ihre 14 Monate alte Tochter Mariam mit einem abgenutzten Stück Stoff auf ihrem Rücken fest. Die aufgehende Sonne wirft lange Schatten auf den Feldweg, als sie sich auf den Weg zum Gesundheitszentrum in Guereda im Osten des Tschad macht. Jeder Schritt ist ein Kampf - gegen Hunger, Erschöpfung und Angst.

Über drei Stunden lang rennt und geht Hawa, verängstigt wegen den Gefahren des Weges. „Jedes Mal, wenn ich ein Geräusch hörte, fing ich wieder an zu rennen“, sagt sie. „Ich gehe nie weit weg von zu Hause - es ist zu gefährlich. Meine Nachbarin wurde einmal vergewaltigt, sie haben sie einfach auf der Straße liegen lassen. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss für mein Kind gehen.“
Hawa ist eine von Millionen Menschen, die mit den verheerenden Auswirkungen der unsicheren Ernährungslage im Tschad konfrontiert sind, einem Land, das auf dem Welthungerindex 2023 auf Platz 119 von 125 liegt. In diesem Jahr erlebt der Tschad die schlimmste Magersaison seit Beginn der Aufzeichnungen. Mehr als 3,4 Millionen Menschen sind stark von Ernährungsunsicherheit betroffen, und 1,9 Millionen Kinder leiden an akuter Unterernährung. Hawas Baby Mariam ist eines von ihnen.

Unterernährung lässt die Lunge rasseln
Um 9:30 Uhr erreicht Hawa das von CARE unterstützte Gesundheitszentrum. Erschöpft und zitternd erklärt sie dem Personal Mariams Zustand. Paul, ein Krankenpfleger des von CARE unterstützten Gesundheitszentrums in Guereda, untersucht das Baby und bestätigt den Schweregrad ihrer Unterernährung. Mit einem Gewicht von nur 6 Kilogramm ist Mariam für ihr Alter untergewichtig. Mit einem mittleren Oberarmumfang (MUAC) von 11,5 cm befindet sie sich an der Schwelle zwischen schwerer und mittelschwerer akuter Unterernährung. Für ihr Alter und ihre Größe sollte sie 3,2 kg mehr wiegen. Sie ist zu schwach, um sich aufzusetzen, und ihre Augenlider flattern zu, während ihre Mutter spricht.
„Zu Hause habe ich nichts, um mein Baby zu füttern“, sagt Hawa. „Ich bin nicht verheiratet und habe keine Arbeit. Manchmal pflanze ich Erdnüsse und verkaufe sie, um Essen zu kaufen, aber diese Woche habe ich noch nichts gegessen. Ich lasse Mariam nuckeln, aber ich habe keine Muttermilch mehr. Ich tue es einfach, damit sie aufhört zu weinen.“

Paul, Pfleger des Zentrums, hat viel zu viele Fälle wie den von Mariam gesehen. „Unterernährung wirkt sich nicht nur auf das Gewicht des Kindes aus“, erklärt er. „Sie schwächt die Knochen, lässt die Haare ausfallen und deformiert den Körper. Sogar das Gehirn wird in Mitleidenschaft gezogen - Teile des Gehirns können ganz aufhören zu wachsen. Das Immunsystem bricht zusammen und macht das Kind anfällig für Krankheiten wie Fieber und Durchfall.“ Der instabile Zustand des Tschad verschärft die Krise noch. Das Land, das 1,2 Millionen Flüchtlinge, vor allem aus dem Sudan, beherbergt, ist mit den steigenden Lebensmittelpreisen, der Umweltzerstörung und den Folgen der Überschwemmungen überfordert. Durch den Zustrom von Flüchtlingen sind die Löhne gesunken und der Wettbewerb um die begrenzten Ressourcen hat sich verschärft, so dass die gefährdeten Bevölkerungsgruppen nur noch wenig zum Überleben haben.
Nachdem Paul Mariam in der großen farbigen Plastikschale gewogen hat, die mit Schnüren an der Waage befestigt ist, hört er auf ihre Atmung. „Die Atmung ist für ein unterernährtes Kind schwierig. Sie ist langsam und tief. Die Lungen rasseln und es hört sich an, als würde der Wind durch ein kleines Rohr gepresst“, sagt er und untersucht sie weiter. „Außerdem nimmt die Blutmenge im Körper ab. Das Kind braucht mehr Kraft, um genügend Blut zu produzieren. Je schwerer die Unterernährung wird, desto mehr körperliche Anzeichen sieht man. Der nächste Schritt ist, dass die Zunge weiß wird. Auch die Innenseite der Augenlider wird aufgrund des Blutverlustes weiß. Der Magen bläht sich auf und wölbt sich nach außen. Die Finger schwellen an und die Nägel werden weiß. Wenn man auf die Haut am Fuß des Babys drückt, bleibt sie so und bildet sich nicht zurück.“

Zurück nach Hause rennen
Mariam bekommt Breipulver, und Hawa ist sofort erleichtert. „Ich möchte einfach nur nach Hause rennen und meinem Baby etwas zu essen machen“, sagt Hawa und ihr Gesicht erhellt sich mit einem Lächeln. Die Tatsache, dass sie sich das Essen für ihre fünf Kinder nicht leisten kann, hat die Mutter psychisch stark belastet. Die steigenden Lebensmittelpreise im Tschad haben dazu geführt, dass sich die Familien nicht einmal mehr das Allernötigste leisten können. So sind beispielsweise die Kosten für 3 Kilogramm Getreide von 75 CFA (0,11 €) auf 1500 CFA (2,28 €) in die Höhe geschnellt, während der Preis für ein Huhn von 2000 CFA (3 €) auf 6000 CFA (9,12 €) gestiegen ist. Früher reichten 500 CFA (0,76 €) aus, um eine ganze Familie zu ernähren, doch jetzt können selbst 5000 CFA (7,60 €) den Bedarf eines Haushalts nicht mehr decken.
Diese dramatische Inflation, die durch das begrenzte Nahrungsmittelangebot, Überschwemmungen und steigende Transportkosten ausgelöst wurde, hat die Hungerkrise in einem Land verschärft, in dem ohnehin schon viele Familien zu kämpfen haben. „Jeder muss von diesem Gesundheitszentrum erfahren. Ich werde es allen in meinem Dorf erzählen“, schließt Hawa, packt die Tüte mit dem Haferbrei fester und macht sich auf den langen Weg nach Hause.


Das Gesundheitszentrum empfängt jede Woche über 100 Mütter wie Hawa. „Sechzig dieser Kinder befinden sich in der roten Zone, das heißt, sie sind akut schwer unterernährt“, sagt Paul. „Ohne dringende Hilfe werden viele von ihnen nicht überleben.“ Da die Lebensmittelpreise in die Höhe schießen und der Zugang zu Hilfsgütern durch Überschwemmungen behindert wird, besteht dringender Handlungsbedarf. Die globale humanitäre Hilfe im Tschad ist obendrein stark unterfinanziert, nicht einmal die Hälfte versprochener Mittel steht zur Verfügung.
Für Hawa und Mariam ist der Weg zum Überleben noch lange nicht zu Ende. Aber im Moment haben sie Hoffnung und eine Chance. Die Hoffnung wird genährt durch eine Schüssel Brei und die Entschlossenheit einer Mutter, die 17 Kilometer gelaufen und gerannt ist, um ihr Kind zu retten.
Die Arbeit von CARE im Tschad
Das von CARE mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Union durchgeführte Projekt im Distrikt Guéréda im Osten des Tschad konzentriert sich auf die Verbesserung der Gesundheits- und Ernährungssituation von gefährdeten Gruppen, insbesondere von Kindern unter fünf Jahren und schwangeren oder stillenden Frauen. Das Projekt gewährleistet den kostenlosen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen medizinischen Grundversorgung, einschließlich Screening und Behandlung von akuter Unterernährung, durch die Stärkung der Gesundheitssysteme. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehören der Aufbau von Kapazitäten für das Gesundheitspersonal, die Ausstattung von Gesundheitszentren mit wichtigen Hilfsgütern, die Unterstützung von Überweisungssystemen und die Integration von WASH-Praktiken (Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene) in Gesundheits- und Ernährungsprogramme.