Behind the Scenes im Tschad von CARE-Nothilfe-Reporterin Sarah Easter
Es gibt Reisen, bei denen man vorher weiß: Das wird nicht einfach. Und dann gibt es Reisen, bei denen man denkt, man sei vorbereitet – nur um am Ende festzustellen, dass Vorbereitung in Krisengebieten vor allem bedeutet, spontan zu bleiben und Geduld mitzubringen.
Ich bin im Tschad. Mein Auftrag: Geschichten sammeln. Stimmen von Menschen, die aus dem eskalierenden Konflikt im Sudan geflohen sind. Ihre Erlebnisse sichtbar machen. Die Welt soll hören, was sie durchgemacht haben. Doch was in der Theorie nach einem klaren Ziel klingt, wird in der Praxis schnell zu einer Aneinanderreihung von Improvisationen, Umwegen – und Momenten, in denen nichts mehr weitergeht.

Tag 1: Hauptstadt N’Djamena
Eigentlich sollte ich mit dem ganzen Team – eine Kommunikationskollegin, eine Übersetzerin und ein Projektkollege - in den Osten fliegen. Aber plötzlich wird in der Stadt, in die wir wollen, ein hochrangiger Besuch erwartet. Meine CARE-Kolleginnen bleiben zurück, da alle Sitzplätze im Flugzeug vergeben sind. Ich fliege allein. Ohne Übersetzerin. Erst einige Stunden später kommt das Team nach mir in Abeche im Osten an. Wir versuchen noch am selben Tag nach Guereda zu kommen – fünf Stunden Fahrt über eine Buckelpiste. Wir machen uns auf den Weg. Doch nur eine halbe Stunde nach Abfahrt ruft das Sicherheitsteam an und wir müssen umdrehen, da wir nicht vor Einbruch der Dunkelheit ankämen. Sicherheit geht vor. Also Planänderung und zurück in die Stadt. Die Hotelsuche ist aufgrund des VIP-Besuchs nicht einfach. Aber wir finden eine Unterkunft, die noch Zimmer hat, aber keinen Strom oder Wasser. Mit Stirnlampe auf dem Kopf, damit ich wenigstens etwas sehen kann, esse ich Reis.

Tag 2: Neuer Versuch
Jetzt aber! Wir fahren los. Die Straße? Eine Aneinanderreihung von Schlaglöchern mit gelegentlichen Sandunterbrechungen. Ich nutze meine Hand als Stoßdämpfer zwischen meinem Knie und dem Erste-Hilfe-Kasten, der bei jeder Bodenwelle gegen mich stößt. Wir erhalten einen Anruf: Flutwarnung direkt vor uns. Die Straßen könnten unpassierbar sein. Wir diskutieren, entscheiden uns fürs Weiterfahren und kommen in Guereda an – die letzte Stadt vor der Sudangrenze. Endlich. Nur leider zu spät. Die Patient:innen im Gesundheitszentrum, mit denen wir sprechen wollten, sind schon nach Hause gegangen, da sie sich um ihre Kinder kümmern müssen.

Tag 3: Neuer Ort, neues Glück?
Wir wollen von Guereda an die Sudangrenze und dort ein CARE-Projekt besuchen. Als wir im CARE-Büro für unsere Fahrt bereits alles zusammengepackt haben und zu den Autos aufbrechen, kommt wieder ein Anruf. An unserem Ziel sind Schüsse gefallen. Wir kriegen eine Reisesperre. Sicherheit geht vor.
Das Team telefoniert. Plant um. Organisiert etwas Neues. Wir fahren zu einem Gesundheitszentrum, wo wir mit Geflüchteten sprechen können. Endlich: ein Interview. Eine Frau aus dem Sudan erzählt: vom Krieg, von der Flucht, vom Trauma. Ich höre zu und notiere alles. Dann ein Moment des Zögerns. Unsere Übersetzerin fragt nach. Es wird mit Fingern im Sand gemalt. Hände sprechen, wo Worte fehlen. Es stellt sich heraus: Sie floh schon 2004 im damaligen Darfur-Konflikt. Nicht 2024. Das sudanesische Arabisch ist etwas anders als das lokale Arabisch im Tschad, sodass Missverständnisse vorkommen. Ich schließe mein Notizbuch und habe immer noch nichts.

Tag 4: Plan D. Oder E? Wer weiß das schon.
Wir fahren zu einem CARE-Projekt, wo nahrhafter Brei verteilt wird. Unterwegs: Anruf. Gute Nachrichten – wir dürfen ein Camp besuchen, in dem Menschen aus dem Sudan untergebracht sind. Wir drehen um und rasen durch die Steinwüste. Dann kommt noch ein Anruf. Stopp. Die Behörden sind sich uneins und wir drehen wieder um. Mir wird schlecht vom ganzen Manövrieren. Wir besuchen das Projekt mit dem Brei. Drei Stunden später mitten im Interview kommt noch ein Anruf. Jetzt dürfen wir. Das Auto springt an und wir fahren wieder los. Im Camp angekommen gleich die nächste Hürde: Der Campmanager lässt uns eine Stunde warten. Dann dürfen wir anfangen. Doch die Menschen, die wir sprechen wollen, sind nicht zu Hause. Wir werden so spontan nicht erwartet. Sie arbeiten oder suchen nach Essen. Wir laufen von Hütte zu Hütte. Klopfen, fragen und finden nach einer Weile eine Frau, die Zeit hat und mit uns sprechen will. Sie ist CARE-Projektteilnehmerin und vor wenigen Monaten geflohen. Wir setzen uns in den Schatten eines Baumes. Und reden.

Tag 5: Eigentlich Abreise
Koffer ist gepackt, der Flug steht. Und wieder ein Anruf, ich habe schon aufgegeben zu zählen, wie oft wir diese Anrufe erhalten. Die Sicherheitslage ist stabil und wir dürften jetzt doch zur Grenze. Wir haben eine kurze Diskussion im Team. Dann schmeißen wir wieder alle Pläne über Bord. Dieses Mal aber bin ich froh. Das Hotel wird storniert, der Flug umgebucht. Wir fahren zur Grenze. Der Sudan ist nur wenige Kilometer entfernt. Mitten im Nirgendwo treffen wir Menschen, die aus dem Sudan geflohen sind und gerade erst angekommen sind. Wir treffen sie da, wo sie auf ihrer Flucht gestoppt haben – da wo sie zu erschöpft waren, um nur einen Schritt weiterzugehen. Und dann passiert es: Es klappt. Ich schreibe, fotografiere, filme, sammele alles, was ich benötige – und mehr. Ich halte fest, was zählt. Geschichten, die erzählt und gehört werden müssen.

All das geht nur im Team. Mit Menschen, die stundenlang telefonieren, verhandeln, organisieren. Die nicht aufgeben, wenn uns Steine in den Weg gelegt werden. Die ins Auto springen, wenn wir endlich die Freigabe haben. Das Wort Dankbarkeit erscheint viel zu klein für das, was ich fühle und sagen möchte, aber genau das bin ich: unendlich dankbar für die Teams vor Ort, die das Unmögliche möglich machen und immer wieder Wege finden, wie es weiter geht. Die Pläne umschmeißen und Alternativen finden. Denn es gibt immer einen Weg.
Zurück in der Stadt sind wieder alle Unterkünfte belegt. Wir finden ein Zimmer voller Eidechsen und Heuschrecken. Ohne Licht. Ohne Türschloss. Dann fällt auch noch mein Flug in den Süden aus. Wir müssen einen großen Umweg über die Hauptstadt machen und verlieren noch einen Tag. Aber das ist egal. Denn was zählt: Wir waren da. Das Team hat es möglich gemacht. Und jetzt finden wir einen neuen Weg für den nächsten Teil der Reise. Es hat sich gelohnt, denn irgendwo da draußen liest gerade jemand diese Geschichten.
Und versteht.
Und hilft.