„An dem Tag, an dem sie mir von meiner Heirat erzählten, war ich 12", sagt Bintou, eine Mädchenrechtsaktivistin aus Mali. „Ich war total verwirrt und habe meine Mutter gefragt, was überhaupt eine Ehe ist."
Jedes Jahr am 11. Oktober initiieren die Vereinten Nationen den Weltmädchentag, um „die Rechte der Mädchen und die besonderen Herausforderungen, mit denen Mädchen auf der ganzen Welt konfrontiert sind, anzuerkennen". Eine dieser Herausforderungen sind Früh- und Zwangsehen, mit denen Mädchen und junge Frauen weltweit konfrontiert sind. Gleichzeitig wird diese Problematik und insbesondere die Auswirkungen für Frauen und Mädchen oft übersehen.
Jedes Jahr werden ca. 12 Millionen Mädchen zu Ehen gedrängt, was sich wiederrum negativ auf ihre Bildung, Gesundheit aber auch Psyche auswirkt. Durch die Zunahme von Konflikten und Krisen steigt das Risiko für Mädchen, jung zu heiraten weiter an. Werden keine weiteren Maßnahmen ergriffen, so schätzt UNICEF, könnten bis 2030 mehr als 100 Millionen zusätzliche Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr heiraten.
Bintou aus Mali sollte auch verheiratet werden: „Der Mann war 40 Jahre alt, so alt wie mein Vater. Ich wollte ihn nicht heiraten, sondern die Schule beenden. Das hat meinen Vater wütend gemacht“, erzählt Bintou. Ihr Beispiel zeigt, wie schwer es sein kann, sich gegen Zwangsheirat zu stellen, aber auch, dass es sich lohnt für sich selbst zu sprechen.
Mädchenrechte sind Menschenrechte
Kinderehen sind eine verheerende Form von geschlechtsspezifischer Gewalt, die Kinder in oft missbräuchliche Ehen zwingt. In vielen Ländern haben Kinderbräute aufgrund ihres Status als Minderjährige keinen Rechtsanspruch auf eine Scheidung und keinen Zugang zu sicheren Unterkünften. Gleichzeitig sind laut Weltgesundheitsorganisation Schwangerschaften, Komplikationen bei der Geburt und unsichere Schwangerschaftsabbrüche die häufigste Todesursache bei Mädchen im Alter zwischen 15 bis 19 Jahren.
Auch Bintou kennt solche Fälle, die häufig in Zusammenhang mit Frühverheiratung stehen. „Kinderehen können zu ungewollten Schwangerschaften, schweren Blutungen und sogar zum Tod von Müttern und Kindern während der Geburt führen", sagt Bintou. „Diese Situation führt oft zu einem dauerhaften psychologischen Trauma, insbesondere wenn die Mutter des Mädchens bereits verstorben ist. Doch nicht nur die psychische Misshandlung ist ein Problem. Auch körperliche Misshandlung sind in Zwangsehen keine Seltenheit, wenn der Ehemann die Frau beispielsweise schlägt und verletzt.“
Bintous Stärke die Heirat zu verweigern, inspiriert andere Mädchen und ist ein Grund, wieso sie im lokalen CARE-Programm Tipping Point eine führende Rolle eingenommen hat. Das Programm hat das Ziel, die Kompetenzen junger Frauen, ihre Selbstbestimmung und Führungsqualitäten, zu stärken, und sie gleichzeitig über ihre Rechte zu informieren. Für Bintou steht seit ihrer Teilnahme fest: „Frauen sollen heiraten, wenn sie es wollen. Wenn ihr Körper und ihre Psyche bereit dazu sind.“
Bintou hat es nicht nur geschafft, ihre eigene Ehe zu verhindern, sondern auch die Bewohner:innen ihres Heimatdorfes Siribougou mit der Problematik von Zwangsheirat vertraut zu machen. Dazu ging sie gemeinsam mit weiteren Mädchen mit dem Imam, dem Dorfvorsteher und den Eltern in Austausch, um sie davon zu überzeugen, nicht vor 18 Jahren heiraten zu müssen. Die Mädchen konnten sogar den Bürgermeister von ihrer Sache überzeugen, sodass auch er sich gegen die Heirat unter 18 Jahren einsetzt.
Auch im eigenen sozialen Umfeld, zu Hause, klärt Bintou auf. Sie konfrontiert ihren Vater mit den Folgen von Kinderehen. „Durch die Ausbildung in dem CARE Programm habe ich Tipps erhalten, wie ich meinem Vater am besten klar machen kann, dass ich keinen Mann heiraten will, den ich nicht liebe. Und schon gar nicht mit 12 Jahren“, führt Bintou aus. „Nachdem er die furchtbaren Folgen dieser weit verbreiteten Praxis verstanden hatte, versprach er mir, mich nicht vor meinem 18. Geburtstag zu verheiraten.“
Aufgeklärte und mutige Männer
Bintous Vater hat seine Haltung zu Zwangsverheiratung völlig verändert. Seitdem leitet er einen lokalen Verein für Väter, der sich gegen die Praxis einsetzt. „Als Bintou die von mir vorgeschlagene Ehe ablehnte, war ich zunächst wütend", sagt er. „Aber schließlich habe ich eingesehen, dass sie Recht hatte. Bintou setzt ihre Ausbildung fort, bis sie 18 Jahre alt ist. Dafür werde ich sorgen und sie bei der Ausbildung unterstützen.“
Ein Schwerpunkt des CARE-Programms ist es, weitere Menschen zu ermutigen, Bintou und andere Mädchen in ihrem Vorhaben zu unterstützen und gegen Zwangsheirat und die Folgen aufzustehen.
„Aufgeklärte und mutige Männer haben uns geholfen", sagt Bintou. „Sie haben eine Art Gesetz verfasst, dass die Ehe unter 18 Jahren verurteilt. Der Dorfvorsteher, der Imam, unsere Eltern und wir Mädchen haben alle dieses Dokument unterzeichnet. Seitdem gibt es in Siribougou keine Eheschließungen mehr, an denen Personen unter 18 Jahren beteiligt sind." Bintou weiß, dass eine solche Veränderung nur möglich ist, wenn Mädchen bei Entscheidungen, die sie betreffen, ein Mitspracherecht haben. Dabei geht es nicht nur um die Abschaffung der Kinderheirat an sich, sondern auch darum, dass die Mädchen gehört und aktiv einbezogen werden. „In der Vergangenheit blieben die Stimmen von uns Mädchen oft ungehört und selbst ältere Frauen hatten kaum Einfluss auf Entscheidungen. Nach dem Tipping-Point-Programm haben wir deutlich mehr Mitspracherecht. Mädchen müssen nach vorne gebracht werden, denn nur sie können über ihre Probleme sprechen. Niemand sonst kann das für sie tun."
Diese Veränderungen wurden nun in den lokalen Gesetzen verankert, was dazu geführt hat, dass das Heiratsalter der Mädchen in Bintous Gemeinde deutlich gestiegen ist. Sie hofft, dass das Beispiel der Gemeinde als Vorbild für ganz Mali dienen kann und eine landesweite Bewegung zur Abschaffung der Kinderheirat in Gang setzen wird.
Helfen Sie Frauen wie Bintou und unterstützen Sie die Arbeit von CARE.