Abu mit einem Sack gesammelter Plastikflachen.

Jeden Morgen sammelt Abu Mahmoud in Afrin Plastikflaschen aus einem Müllcontainer. Dabei denkt er jedoch nicht an Recycling. Ganz im Gegenteil: Er trägt die Flaschen nach Hause und verbrennt sie in einem Ofen. Der 56-jährige ist Vater von zwölf Kindern und weiß sehr wohl, welch gesundheitliche Gefahren von den Abgasen ausgehen. Doch eine Alternative hat er nicht. Der Winter ist sehr kalt, richtigen Brennstoff kann er sich nicht leisten und Abus Familie friert. Denn ihr Zuhause ist seit dem Erdbeben am 06. Februar vergangenen Jahres ein Zelt.

Abu wusste schon vor dem Erdbeben wie es sich anfühlt, das eigene Zuhause zu verlieren. Vor vier Jahren musste die Familie ihre Heimat Aleppo wegen des Krieges verlassen. Alles gaben sie auf: ihr Haus, die Felder, ihre Freunde– ihr altes Leben. Die Familie zog nach Nordwestsyrien. „In Afrin hatte ich dann ein Haus und arbeitete auf dem Feld. Dadurch hatten wir genug Geld, um uns etwas  Essen zu kaufen und das Haus zu heizen. Manchmal habe ich auch andere Geflüchtete aufgenommen und wir haben uns mit ihnen das Essen geteilt“, erzählt er. Doch jetzt ist vieles anders.

Erneuter Verlust

Am 06. Februar 2023 haben Abu Mahmoud und seine Familie zum zweiten Mal in ihrem Leben ihr Zuhause verloren. Das Haus der Familie stürzte bei den Erdbeben in jener Nacht ein. „Ich dachte die Welt geht unter. Überall um mich herum hörte ich Schreie und alle liefen auf die Straße. Die Wand im Zimmer meiner Kinder gab als erstes nach und schloss sie in. Es war einfach furchtbar. Ich habe mit meinen Händen im Schutt gegraben, um meine restlichen Familienmitglieder zu finden. Wie durch ein Wunder konnte ich sie befreien, während das Haus über uns immer weiter zusammenbrach. Sie waren zwar verletzt, aber am Leben. Viele andere meiner Nachbarn habe ich in den Trümmern verloren.“

Ein zerstörter Einkaufsladen in Syrien.

Abu und der Rest seiner Familie stehen in dieser Nacht mit nichts als ihren Schlafanzügen auf der Straße. Wohin sie gehen sollen, wissen sie nicht, denn um sie herum ist nur Chaos und Zerstörung. Nach einiger Zeit schaffen sie es, ein behelfsmäßiges Zelt zu errichten. Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Dieses Zelt wird auch für das gesamte kommende Jahr ihr Zuhause bleiben. „Wenn wir noch ein weiteres Jahr so leben, dann werden uns Regen und die bittere Kälte im Winter oder die unerträglich heißen Sommer noch umbringen“, erklärt Abu.

Abu im Gespräch mit einer Frau.

„Das Erdbeben hat unser Leben noch schwieriger gemacht, als es ohnehin schon war“, fährt er fort. „Ich weiß, dass das Verbrennen von Plastikflaschen Krebs verursachen kann, aber richtigen Brennstoff können wir uns einfach nicht leisten.“ Die große Angst der Familie ist nun, dass die humanitäre Hilfe, auf die sie dringend angewiesen sind, eingestellt oder zumindest drastisch reduziert wird. Ganz unbegründet ist diese Sorge nicht, denn im Dezember letzten Jahres war die humanitäre Hilfe für Syrien, für die eigentlich 5,41 Mrd. Dollar Hilfsgelder der internationalen Gemeinschaft vorgesehen sind, nur zu einem Drittel gedeckt. Und das Jahr 2024 startete mit der Nachricht, dass das Welternährungsprogramm seine Mittel in Syrien um die Hälfte reduziert. Die Folgen sind bereits spürbar.

Lebensmittelpreise steigen

Neben ihrer prekären Wohnsituation sind die Lebenshaltungskosten ein riesiges Problem für Abu und seine Familie. In Syrien kosten Lebensmittel im Schnitt doppelt so viel wie noch 2022. Vier von fünf Menschen in Nordwestsyrien leiden unter Ernährungsunsicherheit. Dazu kommt das harsche Wetter: Die Winter sind in der Erdbebenregion sehr kalt. Das Schlafen in Zelten oder unter freiem Himmel kann lebensgefährlich sein. Deshalb werden dringend mehr Notunterkünfte gebraucht, genauso wie Bargeldhilfen oder warme Kleidung. Die betroffenen Menschen versuchen alles, um sich selbst zu helfen: Sie lassen Mahlzeiten aus oder nehmen Schulden auf, um ihre Bedarfe zu decken. Doch diese Bewältigungsstrategien können langfristig negative Folgen haben, etwa auf die Lebensplanung oder Gesundheit der Menschen. Das zeigt sich besonders dramatisch am Beispiel der Kinder: Viele können nicht mehr Kind sein, weil sie ihren Familien bei der Arbeit – beim Überleben – helfen müssen.

Abu streichelt einen kleinen Jungen.

„Wenn Nichtregierungsorganisationen wie CARE ihre Arbeit einstellen, dann kommt es hier zu einer humanitären Katastrophe“, glaubt Abu. „Die Menschen sind jetzt schon verzweifelt, aber dann hätten sie wirklich keine Unterstützung mehr. Was bliebe uns dann anderes übrig, als Essen zu klauen um unsere Kinder zu ernähren? Das will niemand, aber was sollen wir tun? Wir können nirgendwo hin. Deshalb hoffe ich so sehr, dass unsere Stimme gehört wird. Denn wenn die humanitäre Hilfe wegfällt, würde hier noch eine größere Tragödie entstehen, als sie das Beben verursacht hat. Diesmal wäre sie allerdings von Menschen gemacht.

Abu Mahmoud und seine Familie haben letztes Jahr von der lokalen Organisation Syria Relief, einer Partnerorganisation von CARE, Winterhilfe bekommen, wozu auch Bargeld gehörte.

Abu erinnert sich noch genau an den Moment, wo er zum ersten Mal wieder Geld zur Verfügung hatte: „Als ich die Hilfe erhalten habe, fühlte ich mich seit langem mal wieder wie ein Mitglied der Gesellschaft. Ich hatte Geld und konnte Essen kaufen und meine Schulden bei dem Landen um die Ecke zahlen. Ich hoffe, dass ich bald wieder arbeiten kann und dass wir bis dahin weiter Unterstützung erfahren. Sie sichert nicht nur das reine Überleben, sie sichert auch unsere Würde.“

Auch ein Jahr später ist Hilfe für die Betroffenen der Erdbeben in der Türkei und in Syrien dringend notwendig! Bitte spenden Sie.

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