Es duftet nach ukrainischen Teigtaschen, so genannten Varenyky, vor dem Aufnahmezentrum in Przemysl – ein Geruch von Heimat auf der anderen Seite der Grenze. Hier an der Außenküche können die ukrainischen Geflüchteten Kraft tanken, sich mit anderen austauschen oder einfach die Sonne genießen. Gemeinsam mit meiner Übersetzerin Anja komme ich mit Oksana, Alexander und ihrem fünfjährigen Sohn Alexander ins Gespräch.
Als ich mich vorstelle, läuft das Kind auf mich zu und möchte mich umarmen. Die Eltern versuchen ihn noch zurückzuhalten, doch es ist zu spät und er klammert sich bereits an mein Bein. Ich schaue etwas verwundert und gebe dem Kind ebenfalls eine kleine Umarmung. Die erste Unsicherheit ist verschwunden und wir lachen alle. Etwas, das in diesen schweren Zeiten heilsam sein kann, auch wenn es nur aus Verlegenheit geschieht. Der fünfjährige Alexander ist Autist und seine Umarmung ist ein Zeichen von Vertrauen – ich fühle mich geehrt.
Die Familie erzählt mir, dass sie ursprünglich aus Zaporizhzhia, der sechstgrößten Stadt der Ukraine, kommt. Einer Stadt, die im Krieg in der Ukraine wegen des städtischen Atomkraftwerks in den Medien schnell eine ungewollt prominente Rolle bekam.
„Als wir die ersten Schüsse hörten und es hieß, dass die Kämpfe auch Auswirkungen auf das Atomkraftwerk haben könnten, sind wir sofort los. Wir haben jeder einen Rucksack gepackt und uns ins Auto gesetzt. Das ging alles so schnell, dass meine Stiefmutter nur die Kleidung mitgenommen hat, die sie an dem Tag trug“, sagt mir Oksana. „Das war alles so surreal, auch für meine Stiefmutter. Sie wollte erst gar nicht gehen, weil sie bei ihren Pflanzen bleiben wollte“, fügt sie hinzu. „Wir konnten sie aber doch noch überzeugen“, sagt die 36-Jährige mit einem Lächeln im Gesicht.
Die Familie schaffte es zwar sehr schnell aus den Gebieten mit aktiven Kämpfen, musste dann jedoch drei Tage im Auto auf dem Weg zur Grenze ausharren. „Da waren so viele Fahrzeuge. Wir standen drei Tage im Stau und mussten im Auto übernachten“, sagt Alexander. „Das war wirklich schlimm, vor allem für meinen Sohn. Immer wenn wir ein paar hundert Meter weiterkamen und dort ein Haus war, lief mein Sohn dorthin, weil er dachte, dass wir dort jetzt unterkommen würden.“
Nach langer Wartezeit schaffen sie es über die Grenze und gelangen zum Aufnahmezentrum in Przemysl. Dort werden sie versorgt, können sich ausruhen, bekommen etwas zu essen und überlegen sich, wohin es nun gehen soll. Weder Oksana noch ihr 37-jähriger Ehemann kennen jemanden in Polen oder im weiteren europäischen Ausland.
Die Wahl fällt auf die Niederlande. „Warum dorthin?“, frage ich. „Keine Ahnung“, erwidert Oksana. „Egal wohin, Hauptsache weg“, sagt sie. Wenig später sehe ich die Familie wie sie in einen Reisebus in Richtung der Niederlande steigt. Sie winken zum Abschied und entschwinden über die Schnellstraße in Richtung ihrer neuen niederländischen Heimat.
CARE-Helfer Stefan Brand am Grenzübergang Przemysl
CARE unterstützt Schutzsuchende in Polen, Rumänien, Moldawien und der Ukraine durch Partnerorganisationen mit Unterkünften, sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln und Hygieneartikeln. Um weitere dringende Bedürfnisse decken zu können, erhalten vom Krieg betroffene Menschen Bargeld. Gleichzeitig bieten erfahrene Nothelfer:innen psychosoziale Unterstützung an.
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