Wieder in Lviv. Das vierte Mal seit Ausbruch des Krieges. Die Stadt zeigt sich von ihrer besten Seite. Schönes Sommerwetter, viele Menschen auf Straßen und Plätzen und Musik an fast jeder Ecke. Der Krieg scheint weit entfernt. Wir besuchen einen Shelter für Menschen, die aus dem Osten des Landes vor dem Krieg fliehen mussten. Er wird von unserer Partnerorganisation Tvoya Opera betrieben. Die Unterkunft liegt im Stadtzentrum und von unserem Büro in wenigen Minuten zu Fuß zu erreichen. Je näher wir dem Shelter kommen, desto sicherer werde ich mir, dass ich ihn schon einmal besucht habe. Als wir ankommen, bin ich mir sicher.

Im Sommer 2022, also vor fast zwei Jahren, habe ich dieses Projekt schon einmal besucht. An der Wand im Flur hängen Kinderzeichnungen. Den Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden so ihre Erlebnisse zu verarbeiten. Es sind noch die gleichen Zeichnungen wie vor zwei Jahren. Dann fällt mir ein Bild ins Auge und erinnere mich an die Geschichte, die mir damals die Mitarbeiterin unserer Partnerorganisation,  Aleksandra*, dazu erzählte.

Karl-Otto Zentel steht vor einer Wand mit von Kindern gemalten Bildern.
Bereits vier Mal hat Karl-Otto Zentel seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine Lviv besucht. Foto: CARE/Roman Yeremenko

Es wurde von einem vierjährigen Jungen gemalt und zeigt das Auto seines Vaters. In diesem Auto wurde sein Vater erschossen. Die letzte Erinnerung an seinen Vater ist das Auto, in das er einstieg und wegfuhr.

Aleksandra ist mir in Erinnerung geblieben. Sie kannte die Geschichten zu jedem einzelnen Bild. Eine unheimlich engagierte Kollegin, die sich bis zur Selbstaufopferung für die Menschen in der Notunterkunft einsetzte. Sie war jeden Tag da, viele lange Stunden und Ansprechpartnerin für alle. Ich konnte ihr ansehen, dass sie emotional sehr von den Schicksalen der Menschen mitgenommen wurde. Die Belastung war nicht gut für sie. Angesprochen darauf, ob es die Möglichkeit für psychische Unterstützung durch Gespräche mit Fachleuten gebe, war die Antwort: "Ja, aber dafür habe ich keine Zeit."

Ein gemaltes Bild von einem Auto.

Ich frage die Leiterin des Shelters nach Aleksandra. Ist sie noch bei der Organisation und arbeitet sie noch hier vor Ort? Die Antwort lässt etwas auf sich warten. Aleksandra hat die Organisation verlassen und sich als Freiwillige bei der Armee gemeldet. Nach drei Monaten Ausbildung kam sie in den Einsatz. Man hat nicht gehört, dass ihr etwas Schlimmes passiert sei. Aber es gibt ein ukrainisches Sprichwort: Der Weg des Helden ist kurz. 

Die Zeichnung eines vierjährigen Jungen an der Wand eines Shelters in Lviv – es trägt nun zwei Geschichten für mich.

 

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*Name zum Schutz der Person geändert