Lviv liegt im Westen der Ukraine und hat normalerweise rund 800.000 Einwohner:innen. Aufgrund des Krieges sind aktuell deutlich mehr Menschen in der Stadt, weil viele Ukrainer:innen hier Zuflucht suchen. Die meisten von ihnen wissen nicht, wie lange sie bleiben können und ob sie nicht doch in einem der Nachbarländer mehr Perspektiven haben – alles ist in der Schwebe.  In der ukrainischen Hauptstadt Kyiv zeichnet sich ein anderes Bild ab. Offiziell hat Kyiv ca. 3,5 Millionen Einwohner:innen, seit Kriegsbeginn soll sich die Zahl mehr als halbiert haben. Von den insgesamt 12,7 Millionen Menschen, die seit Kriegsausbruch in der Ukraine ihre Heimat verlassen haben, sind 7,7 Millionen innerhalb der Ukraine vertrieben und 5,2 Millionen in Nachbarländer geflohen.

Eine Tankstelle auf dem Weg nach Kiew

Sandsäcke säumen den Straßenrand, während wir Lviv östlich in Richtung Kyiv verlassen. Das Hotel haben wir früh verlassen, damit wir genug Puffer am Ende unserer neunstündigen Fahrt haben und Kyiv vor der Ausgangssperre und Dunkelheit erreichen. In den ersten Stunden nach unserer Abreise sehen wir vor allem eines: geschlossene Geschäfte, Tankstellen, Raststätten oder anderes Gastgewerbe. Tanken wird so zu einer Herausforderung. Als wir endlich eine Tankstelle finden, die Diesel anbietet, gibt es eine 20 Liter Tankbegrenzung. Wir nehmen alles, was wir kriegen können. Über mehrere Tankstellen hinweg kriegen wir unseren Tank dann aber irgendwann voll. An der letzten Tankstelle müssen wir warten, bis der Raketenalarm vorbei ist, da die Tankstellenbetreiber während des Alarms aus Sicherheitsgründen nicht tanken dürfen.

Auf dem langen Weg nach Kyiv passieren wir immer wieder Straßenschilder, auf denen die Kilometeranzeige bis Kyiv übermalt worden ist. Die Bäume und Sträucher direkt neben der Autobahn sind ausgerissen worden, damit sich dort niemand verstecken kann. Je näher wir an Kyiv heranfahren, desto mehr zerstörte Gebäude sehen wir. Komplett zerstörte Tankstellen, aber auch Wohnhäuser, die teilweise eingestürzt sind oder Einschusslöcher aufweisen.

Zerstörte Gebäude auf dem Weg nach Kiew.

Bei jedem zerstörten Haus denke ich mir, dass hier einmal jemand gewohnt hat – vielleicht eine Familie mit Kindern oder ein älteres Ehepaar, die ihre Rente genießen wollten. Neben all der Zerstörung sehen wir aber auch immer wieder Menschen in gelben Westen, die mit den Aufräumarbeiten beschäftigt sind. Das Geröll einer eingestürzten Brücke wird weggeschafft, Leitplanken werden wieder aufgerichtet. Es ist absolut bemerkenswert zu sehen, wie die Bevölkerung trotz der Auswirkungen des Krieges weitermacht.

Als wir kurz vor Anbruch der Dunkelheit und der Ausgangssperre in Kyiv ankommen, finden wir ein komplett anderes Bild als in Lviv vor. Wo in Lviv die Straßen belebt und voll waren, die Menschen in Parks oder Cafés sitzen, einkaufen gehen oder ihre Hunde ausführen, sehen wir in Kyiv nur wenige Fußgänger, die mit eiligen Schritten zu ihrem Ziel gelangen wollen.

Wir fahren an einem Anhänger vorbei, auf dem auf Ukrainisch „Hölle“ steht. Statuen und Denkmäler sind mit Sandsäcken geschützt. Es fühlt sich surreal an, durch die Stadt und verlassenen Wohngebiete zu fahren und zu wissen, dass viele der Häuser und Wohnungen leer sind. „Es ist ähnlich wie bei einem harten Lockdown, während Corona. Aber jetzt ist es viel akuter. Diese Krise ist viel schlimmer als Corona es jemals war“, so Stansilav von der International Renaissance Foundation (IRF), einer Partnerorganisation von CARE. Er arbeitet von Kyiv aus. „Ihr seid die ersten internationalen Gäste, mit denen ich seit Februar 2020 spreche."

Da fast alles geschlossen hat, werden die Flächen nun für die humanitäre Hilfe genutzt. Die Betreiber eines überdachten Markts in Kyiv haben Freiwilligen Büro- und Lagerräume gegeben. Geschlossene Restaurants kochen jetzt für Menschen in Not, Cafés dienen als Zentralen für Freiwillige. In Lviv ist der Bedarf an Unterkünften groß. Überall in der Stadt gibt es ungenutzte Gebäude, wie Büroräume oder Kindergärten, die jetzt als temporäre Unterkünfte dienen.

Sarah Easter in einem Lagerhaus in Kiew, Ukraine.
CARE-Helferin Sarah Easter im Lagerhaus von BAPTA - einer Organisation, die freiwillige Helfer:innen in Kyiv vernetzt.

Der Unterschied zwischen Lviv und Kyiv ist gewaltig. Hier herrscht ein komplett anderer Alltag. Während die Menschen in Lviv versuchen, eine Routine zu finden und herauszufinden, wo sie die nächsten Wochen eine sichere Unterkunft und einen Job finden können, ist die Lage in Kyiv deutlich dramatischer. Neben Aufräumarbeiten ist hier die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten besonders gefragt. Es ist erschreckend festzustellen, was wenige Wochen Krieg mit Großstädten wie Lviv und Kyiv anrichten können. Wo einst Menschen entspannt durch die Straßen flanierten, liegen jetzt Sandsäcke am Wegesrand. Die Unbeschwertheit ist aus den Straßen und den Gesichtern der Ukrainier:innen gewichen. Ich hoffe sehr, dass dieser Krieg bald ein Ende hat.

CARE-Hilfe in der Ukraine

Gemeinsam mit Partnern unterstützt CARE Schutzsuchende aus der Ukraine durch die Bereitstellung finanzieller Mittel und sicherer Unterkünfte sowie die Verteilung von sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln.

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