Der Kampf gegen Hunger ist essentiell - Theresa Jeremias, Referentin für Ernährung/Ernährungssicherheit bei CARE kennt die Herausforderungen, aber auch die Möglichkeiten konkreter Hilfe.

Von sieben Milliarden Menschen weltweit leiden zwei Milliarden an Mikronährstoffmangel und 800 Millionen an Hunger. Andererseits gelten von fünf Milliarden Erwachsenen bereits fast zwei Milliarden als übergewichtig. Trotz stetigen Verbesserungen bei Saatgut, Ernteprozessen oder Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft ist es bis heute nicht gelungen, die Ernährung der Menschheit so sicherzustellen, dass Ausgewogenheit herrscht und niemand an Hunger und Mangelernährung leiden muss. Was sind die Ursachen für diese globalen Probleme und was tut eine Hilfsorganisation wie CARE, um Lösungen zu finden, die nachhaltig sind?

Theresa Jeremias, Referentin für Ernährung/Ernährungssicherheit bei CARE Deutschland-Luxemburg, kennt die Herausforderungen, die solche Projekte mit sich bringen. Sie weiß aber auch, wie konkrete Hilfe aussehen kann.

Eine Hand hält Hirsekörner in die Kamera
Die 45-jährige Nelia Kanyemba siebt eine geringe Menge Hirse

Frau Jeremias, Weihnachten, Silvester und Neujahr sind eben vorüber. Können Sie als Referentin für Ernährung / Ernährungssicherheit ein typisch deutsches Festmahl überhaupt genießen?

Ja, bei uns gab es Raclette. Da es ein Festmahl ist, was man gewöhnlich nur einmal im Jahr isst, kann ich das gut genießen. Ich würde mich aus ökologischen Gründen gerne vegetarisch ernähren. Das geht leider wegen einer Fruktose-Intoleranz nicht vollständig. Weil ich den physiologisch wichtigen Bedarf an Eisen und anderen Mineralstoffen nicht mit Obst und Hülsenfrüchten abdecken kann, greife ich auf Fleisch zurück. Ich versuche aber, diesen auf einmal die Woche zu beschränken. Außerdem achte ich auf saisonale und regionale sowie biologisch, fair und nachhaltig produzierte Lebensmittel. Man kann also schon sagen, dass ich mich auch privat sehr viel mit Lebensmitteln und Ernährung beschäftige.

"Wir stehen vor großen Herausforderungen unserer Zeit"

Was sind die Gründe dafür, dass es weltweit immer noch Mangelernährung und Hunger gibt? Es hat sich doch in Sachen Lebensmittelproduktion, -logistik und -beschaffung sowie beim Saatgut sehr viel verbessert in den letzten Jahrzehnten?

Das stimmt. Die Welternährungsorganisation schätzt, dass die Zahl an Hunger leidender Menschen in den letzten zehn Jahren um 167 Millionen zurückgegangen ist. Leider ist die Zahl mit weltweit fast 800 Millionen Menschen immer noch viel zu hoch. Da diese Angaben nur auf einem Kaloriendefizit pro Kopf beruhen, muss man sich zusätzlich andere Zahlen anschauen. Von 667 Millionen Kindern unter fünf Jahren leiden zum Beispiel 160 Millionen Kinder unter chronischer Unterernährung.

Die grundlegenden Ursachen sind Armut und Ungerechtigkeit. Je reicher ein Land, desto sicherer die Lebensmittelversorgung seiner Bevölkerung. Allerdings stehen dem Fortschritt bei der Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung Herausforderungen unserer Zeit wie die kontinuierliche Bevölkerungszunahme oder der Klimawandel entgegen. Durch den Klimawandel bedingte extreme Wetterphänomene wie Stürme oder Überflutungen werden bis zum Jahr 2050 ungefähr 250 Millionen Menschen zur Flucht aus ihren Heimatorten zwingen. Die Versalzung oder Überschwemmung fruchtbaren Ackerlandes macht es den Menschen zunehmend schwerer, in ihrer Heimat Landwirtschaft zu betreiben. Kriege und Konflikte führen auch dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen und sich dort nicht mehr um die Ernährung ihrer Familien kümmern können.

CARE appelliert schon jetzt an die Regierungen der Welt, vorausschauend in eine dem Klimawandel angepasste Landwirtschaft zu investieren. Bäuerinnen und Bauern können mit Hilfe eines Dollars an nachhaltigen Investitionen bereits vier Dollar erwirtschaften. Jeder in die Reduzierung chronischer Unterernährung investierte US-Dollar bringt mittelfristig ebenfalls eine wirtschaftliche Rendite ein, in der Demokratischen Republik Kongo wären dies 18 US-Dollar. Ein weiterer Grund für die vielen hungernden Menschen ist die ungerechte Verteilung der Ressourcen. Anstatt Kleinbäuerinnen und -bauern zu fördern, die circa 80% der Nahrungsmittel der Welt produzieren, liegt der Fokus der weltweiten Nahrungsmittelsysteme auf nicht nachhaltigen Anbaumethoden und Landwirtschaft aus Massenproduktion. Schon jetzt ist ein Fünftel des weltweiten Ackerlandes durch die extensive Bewirtschaftung nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar. Die Meere sind überfischt. Bezahlbare landwirtschaftlich nutzbare Flächen für Kleinbäuerinnen und -bauern sind Mangelware. Zusammen mit den Folgen des Klimawandels entsteht so die immer noch unbeantwortete Frage nach dem Ende des Hungers und der Beseitigung der Mangelernährung auf der Welt.

Man erhält den Eindruck, dass Jahr für Jahr Unsummen an Entwicklungshilfe- oder Spendengeldern dafür ausgegeben werden, den Hunger zu bekämpfen. Trotzdem scheint es keinen wirklichen Fortschritt zu geben. Welche Strategie verfolgt CARE, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen?

CARE verfolgt den Ansatz, zukunftsgerichtet zu investieren. Wir fördern eine nachhaltige, produktive, gerechte und resiliente Landwirtschaft. Dazu zählt zum Beispiel die Unterstützung von Kleinbäuerinnen und -bauern mit finanziellen Hilfen wie Mikrokrediten oder Schulungen zu ertragreichem Saatgut. Nachhaltiges Wirtschaften statt kurzfristiger Gewinnorientierung ist ebenfalls ein wichtiger Pfeiler unserer Unterstützung beim Thema Ernährungssicherung. Über die akute Hungerbekämpfung hinaus setzen wir uns vermehrt für die qualitative Verbesserung von Ernährung und die Bekämpfung von Mangelernährung ein. Schließlich können durch eine ausgewogene Ernährung viele Krankheiten und dadurch bedingte Kosten für die Familien, aber auch für die Länder vermieden werden – sowohl in Entwicklungsländern, als auch in Industrienationen. Menschen, die durch Naturkatastrophen oder Kriege und Konflikte akut von Hunger bedroht sind, unterstützt CARE mit humanitärer Hilfe. Neben der Umsetzung von Projekten betreibt CARE auch intensive Lobbyarbeit, um Regierungen und die internationale Gemeinschaft dazu zu bewegen, mehr Investitionen für die Reduzierung von Hunger und Mangelernährung zu tätigen.

Zukunftsgerichtet investieren

Klingt gut – auf dem Papier. Wie sieht das konkret aus, wenn Sie solche Programme vor Ort umsetzen?

Seit März 2016 setzen wir im südostafrikanischen Malawi ein Projekt um. Malawi leidet häufig unter Extremwetterereignissen. Es gibt Überschwemmungen, dann wieder Dürren. Unter diesen Bedingungen Landwirtschaft zu betreiben, ist eine große Herausforderung. Im April 2016 hat die Regierung von Malawi den Notstand ausgerufen, da durch das Wetterphänomen El-Niño die Ernteerträge von Mais innerhalb einer Saison um ein Viertel verringert worden waren. In Malawi herrscht seither eine große Hungersnot. Wir stellen deshalb im Rahmen der Soforthilfe finanzielle Mittel zur Verfügung, mit denen sich die betroffenen Familien Lebensmittel und Basisgüter beschaffen können. Wir verteilen Saatgut und Düngemittel und führen Trainings zu neuen und verbesserten Anbaumethoden durch. Wir haben unter anderem bereits 330 Kilogramm Mais-Saatgut an 1650 Haushalte und 7500 vitaminreiche Süßkartoffel-Setzlinge an 2500 Haushalte verteilt. Damit sollen langfristig die Erträge der Kleinbäuerinnen und -bauern gesichert werden. Wir sanieren und verbessern auch die Bewässerungssysteme, damit das angebaute Getreide die Dürren besser überstehen kann. Davon profitieren bereits 2000 Haushalte. Das Projekt läuft noch bis Mai 2017 und hat ein Investitionsvolumen von knapp 2,4 Millionen Euro.

Wie finanziert CARE solche Projekte und Programme?

Es gibt einige Fonds und Fördertöpfe der Europäischen Union oder anderer Regierungsorganisationen, aus denen CARE Fördermittel für Programme und Projekte im Bereich Ernährungssicherheit beantragen kann. Im Fall von Malawi übernimmt die Europäische Union – genauer gesagt der Bereich „European Civil Protection and Humanitarian Aid Operations“, kurz ECHO – einen Großteil der Gesamtkosten. Um Projekte voll finanzieren zu können, ist eine gemeinnützige Organisation wie CARE auch auf Spenden von Privatpersonen oder Unternehmen angewiesen.

Ibrahim Lota aus Malawi trägt ein blaues Hemd und präsentiert seine Ernte

Das bedeutet, dass CARE auch Partner aus der Wirtschaft dazu gewinnen möchte, die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele anzugehen? Im Sinne eines gemeinsamen Engagements für unsere künftige Welt, wie es die Vereinten Nationen in der Agenda 2030 fordern?

Genau. Im Sinne der Agenda 2030 leisten alle an einem Projekt beteiligten Parteien – zum Beispiel Hilfsorganisation, Unternehmen und politische Kommissionen oder Institutionen – ihren individuellen Beitrag zum Erfolg des Projekts. Jeder bringt seine eigenen Kompetenzen und Ressourcen mit ein und trägt so zu einer wirkungsvollen und wirtschaftlichen Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen bei. Vernetzung, Dialog und Kooperation sind die Schlüssel zum Erreichen der Ziele. Unternehmen, die eine CSR-Partnerschaft mit CARE eingehen, profitieren dazu außerdem von einer erhöhten Glaubwürdigkeit und Mitarbeiter:innenmotivation, teilweise sogar von verbesserten Kund:innenbeziehungen.

"Eine Herkulesaufgabe"

Denken Sie, dass die Ziele der Agenda 2030 realistisch gesetzt sind? Werden Hunger und Mangelernährung bis zu diesem Zeitpunkt beendet werden können?

Es wird eine Herkulesaufgabe bleiben. Es geht nur, wenn alle an einem Strang ziehen, wenn jeder:jedem klar ist, dass Hunger mit Klima, unserem Verständnis von Landwirtschaft, unserer Art mit Ressourcen umzugehen oder auch der Stärkung von Frauen zusammenhängt. CARE wird weiterhin und mit Nachdruck auf die Aufklärung zu diesen Themen einwirken, sowohl direkt vor Ort, als auch bei Regierungen. Gemeinsam mit allen unseren Unterstützer:innen können wir die Ziele der Agenda 2030 erreichen.

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