Die Zeiten, in denen Männer über die Zukunft von Frauen entscheiden, müssen enden. Von Anica Heinlein, Leiterin des CARE-Büros in Berlin.

Anica Heinlein im Feld.

Deutschland im UN-Sicherheitsrat

Seit Beginn des Jahres besetzt Deutschland wieder einen nicht-ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Im April hat die Bundesrepublik nun erstmalig den Vorsitz des Gremiums für die Dauer von einem Monat inne. Das erlaubt es Deutschland, die Sitzungen des Sicherheitsrats einzuberufen, die vom Generalsekretär vorgeschlagene Tagesordnung zu genehmigen, die Sitzungen zu führen und den Rat in Krisensituationen zu leiten. Außerdem ist Deutschland als vorsitzender Staat für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Damit hat die Bundesrepublik wesentlichen Einfluss auf das Arbeitsprogramm und die Themensetzung des Gremiums.

Immer wieder stand der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in den letzten Jahren im Zentrum von Diskussionen. Zu behäbig und zu wenig schlagkräftig sei er, Grund sei das Vetorecht der ständigen Mitglieder, mit dem sie Entscheidungen blockieren können. Zu wenig repräsentativ für die Weltgemeinschaft, da die einzigen fünf ständigen Mitglieder nach wie vor die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges sind, auch wenn sich globale politische Kräfte inzwischen verschoben haben. Und nicht zuletzt sei der Sicherheitsrat zu zahnlos, weil seine Möglichkeiten auch im Fall gemeinsam beschlossener Resolutionen oft beschränkt sind. Für die Durchsetzung dieser Resolutionen braucht es Mittel und praktische Bereitschaft, den Forderungen auch Nachdruck zu verleihen. Deswegen hakt es oft bei der effektiven Umsetzung.

Trotzdem ist der Sicherheitsrat, bei aller Kritik, immer noch das zentrale multilaterale Gremium, in dem die internationale Gemeinschaft die großen Konflikte der Welt und den Umgang mit denselben diskutiert. Neben Resolutionen zu Konflikten in einzelnen Regionen, wie etwa Afghanistan, Jemen oder Somalia, verabschiedet der Sicherheitsrat auch Grundsatzresolutionen. Hier wird festgeschrieben, wie die Weltgemeinschaft grundsätzlich mit Herausforderungen umgehen möchte, so zum Beispiel dem Schutz von Frauen in Konfliktgebieten.  

Frauen, Frieden, Sicherheit

„Umgehen möchte“ ist hier ein bewusst gewähltes Verb. Denn obwohl beispielsweise mit der Resolution 1325 „Frauen, Frieden, Sicherheit“ bereits im Jahr 2000 eine wirklich progressive und weitreichende Richtlinie zum Schutz von Frauen in Konflikten einstimmig verabschiedet wurde, hakt es in der Realität doch sehr bei der Umsetzung. Bereits vor knapp 20 Jahren bekräftigten die damaligen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, Frauen und Mädchen in Konflikten besser vor sexualisierter Gewalt zu schützen und sie aktiv in Friedensprozesse einzubinden. In sieben Folgeresolutionen zum Thema „Frauen, Frieden und Sicherheit“ wurden die drei Säulen der Resolution 1325 – Prävention, Schutz und Partizipation – weiter ausdefiniert.

Doch 2019 sieht die Realität leider zu häufig anders aus: in den ersten Gesprächen zwischen den jemenitischen Konfliktparteien im November in Stockholm saß nur eine einzige Frau am Tisch – nicht gerade das, was man unter gleichberechtigter Teilhabe verstehen würde. Und auch bei Resolutionen, die das Gremium direkt beeinflussen kann, sieht es nicht besser aus. In der letzten Resolution zum Jemen, bei der im Vorfeld der Beratungen auch Expertise zur Situation von Frauen und Mädchen eingeholt wurde, fand diese schließlich in der eigentlichen Resolution nur in einem Nebensatz am Rande Eingang in das Dokument.

Frauen stehen zusammen und lachen in die Kamera.

Frauenrechte sind nicht zweitrangig

Man könnte nun behaupten, dass dies zweitrangige Beschwerden sind. Dass das Wichtigste und Drängendste im Moment ist, diesen Konflikt im Jemen, den die Vereinten Nationen als größte humanitäre Katastrophe weltweit bezeichnen, zu stoppen. Um alles andere könne man sich doch auch später noch kümmern. Doch Frauenrechte sind kein „nice to have“, und ihre Missachtung ist ein fundamentaler Bruch mit den allgemeinen und universellen Menschenrechten. Unnötig zu erwähnen, dass diese für eine Frau im Jemen genauso gelten wie für eine Frau in Berlin.

Mehr als die Hälfte der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, sind Frauen. Eine Frau im Konfliktgebiet zu sein bedeutet, gleich doppelte Hürden, Gefahren und Schmerzen zu erleiden. Denn natürlich haben Frauen zwar die gleichen Grundbedürfnisse wie Männer und Jungen: Ein sicheres Dach über dem Kopf, Nahrung und Wasser, ärztliche Versorgung und Bildung. Aber sie haben auch besondere Bedürfnisse: Für ihre Monatshygiene, ihre Familienplanung, die Sicherheit auf den Straßen und zu Hause, für ihr Wissen um ihre Rechte und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Exil. Ein sekundärer Luxus? CARE sieht das anders. Wer Frauen nicht gleich zu Beginn einer Krise berücksichtigt, hört und einbezieht, der macht das auch nach Kriegsende nicht mehr oder im besten Fall schlechter. Über 70 Jahre Erfahrung in der Nothilfe hat uns gezeigt, was die Folgen sein können, wenn man Frauenrechte auf später verschiebt. Verschärfte geschlechtsbedingte Ungleichheiten, noch mehr Diskriminierungen und Generationen von Frauen, die um ihre Grundrechte kämpfen müssen.

Deutschland hat für seine Zeit im Sicherheitsrat das Thema „Frauen, Frieden, Sicherheit“ zu einem seiner Schwerpunkte erklärt. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen, denn die meist überwiegend männlich besetzten internationalen Entscheidergremien priorisieren Frauenrechte häufig nicht stark genug. Deswegen sollte sich Deutschland mit allen Mitteln dafür einsetzen, dass Frauen gehört werden. Dass ihre Berichte aus Kriegsgebieten Eingang finden in die Dokumente, die der Sicherheitsrat erstellt. Und zwar in alle. Und dass die Resolution 1325 und ihre Folgeresolutionen mit Nachdruck und Rechenschaftspflicht umgesetzt werden. Wort für Wort und von Anfang an. Es ist großartig, dass Deutschland sich diese Aufgabe zu Eigen machen will – denn dies wird kein leichter Weg sein. Es ist auch nicht besonders öffentlichkeitswirksam, der ständige Mahner für dieses Thema zu sein. „Frauen und Gedöns“, das gilt leider in den Köpfen auch im Jahre 2019 noch zu häufig als Nebensache.

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