Von Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland

Karl-Otto Zentel vor dem CARE-Logo

In Deutschland ist unterlassene Hilfeleistung eine Straftat. Wir halten diesen Grundsatz so hoch, dass bis heute jede Person, die einen Führerschein haben will, lebensrettende Sofortmaßnahmen erlernen muss. Auch um im Ernstfall nicht sagen zu können, man hätte nicht gewusst, was zu tun sei.

Ich habe mein Berufsleben als Rettungssanitäter begonnen. Bei der Arbeit im Rettungsdienst dreht es sich nicht in erster Linie ums Leben retten. Öfter geht es darum, Wunden zu verbinden, Notfälle zu versorgen oder Folgen von Sucht zu behandeln. Trotzdem sieht die Gesellschaft Rettungssanitäter:innen zu Recht als Retter:innen, die nicht wegsehen, wenn Menschen in Not sind. Dafür genießen sie hohes Ansehen. Weil sie Leben retten, weil sie stellvertretend für uns alle Lösungen für lebensbedrohliche Situationen finden, während viele andere wegschauen.

Retter:innen werden angefeindet

Es will mir einfach nicht in den Kopf, wieso Retter:innen, die Menschen aus dem Mittelmeer bergen, anders gesehen werden. Sie retten Frauen, Kinder und Männer vor dem sicheren Ertrinken, weil sich derzeit sonst niemand verantwortlich fühlt. Sie folgen dem Gebot der Hilfeleistung für Menschen in Not, das Deutschland im nationalen Recht verankert hat. Und trotzdem werden diese Menschen, die dort täglich Frauen, Kinder und Männer vor dem Ertrinken retten, zunehmend angefeindet. Sie müssen wegen der Geretteten an Bord um Einfahrgenehmigung in die Häfen kämpfen und sich im schlimmsten Fall vor Gericht verantworten. Und zwar nicht wegen unterlassener Hilfeleistung, sondern weil sie getan haben, was man von jedem Menschen in dieser Situation erwarten würde – weil sie Menschen vor dem Ertrinken gerettet haben und sie in Sicherheit brachten, wie es die Mitmenschlichkeit und das Seerecht fordern.

Nach wie vor versagen europäische Staaten und die EU dabei, Menschen im Meer zu retten. 2018 ertranken bereits mehr als 1.400 Menschen im Mittelmeer, eine politische Lösung ist trotzdem nicht in Sicht. Statt Vorschlägen für sichere Wege und reguläre Migration werden diese Menschen kriminalisiert, die verhindern, dass es täglich noch mehr Tote auf dem Mittelmeer zu beklagen gibt. Statt Lösungen sprechen wir über Lager – von denen niemand beantworten kann, wie diese praktisch betrieben werden sollen, ohne die Menschenrechte der dort Internierten zu verletzen und unsere Werte zu verraten.

Lösungen für Fluchtursachen finden

Karl-Otto Zentel in Thessaloniki, Griechenland im August 2016

Immer wieder kommt der Vorwurf auf, die Seenotrettung fördere, dass immer mehr Menschen den gefährlichen Weg auf das Mittelmeer wagen, weil sie sich auf die Retter:innen verlassen. Man könnte aber auch stattdessen den Blick darauf richten, wieso sich diese Menschen überhaupt auf den Weg machen. Wir könnten endlich offen zugeben, dass unfaire Handelsverträge dazu führen, dass wir auf Kosten unseres Nachbarkontinents leben. Wir könnten ehrlich zu uns selbst sein und uns eingestehen, dass unsere Autos und Fabriken maßgeblich den Klimawandel mitverursachen, dessen negative Auswirkungen in der Zukunft immer mehr Menschen in afrikanischen Ländern die Lebengrundlage entziehen werden. Das erleben Hilfsorganisationen wie CARE in ihrer Arbeit jeden Tag. Und wir könnten uns dann eingestehen, dass alles im Leben seinen Preis hat. Wenn nicht heute, dann morgen – die Rechnung kommt bestimmt.

 

Verantwortung übernehmen

Abschottung wird bei der ökonomischen Ungleichheit, die in unserer direkten Umgebung herrscht, mittelfristig keine Lösung sein. Im Gegenteil. Wir brauchen in unser aller Interesse statt populistischer Schnellschüsse wirkliche Lösungen. Wir brauchen Möglichkeiten der regulären Migration für alle Ausbildungsstufen. Wir brauchen eine konsequente Umsetzung des Klimaabkommens von Paris und faire Handelsverträge. Und wir müssen endlich zurückfinden zu unseren Werten, und Verantwortung dafür übernehmen, dass unser Wohl eng verknüpft ist mit dem unseres Nachbarkontinents. Und wir müssen damit aufhören, Migrant:innen für alle Probleme unseres Landes verantwortlich zu machen und uns den dringenden sozialen Problemen in Deutschland – der sozialen Ungerechtigkeit und der Ausgrenzung - zuwenden. Wir können nicht länger wegsehen.

Erst dann wird Migration um den potentiellen Preis, sein Leben zu verlieren, aufhören. Denn jemand, der nichts mehr zu verlieren hat, schreckt auch vor einem Boot nicht zurück, auf dem er sterben könnte. Solange wir dies nicht verstehen, wird sich nichts grundlegend ändern.

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